Nicht so stuermisch Hannah
und so selbstständig ich immer erscheinen musste, ich halte mich nicht für kompetent genug, Tammy das zu geben, was sie braucht."
„Oh. Liebes", widersprach Adam leise, „selbstverständlich bist du das."
„Siehst du, hier täuschst du dich, Adam. Und zwar total." Hannahs Zorn war verflogen. Nur Traurigkeit erfüllte sie. Eine tiefe schwere Traurigkeit. Sie seufzte. „Ich kann nicht vierund zwanzig Stunden am Tag bei meiner Schwester sein. Und das wäre notwendig." Hannah hob entschlossen das Kinn. „Diese Zuwendung kann Tammy nur in einer darauf spezialisierten Einrichtung bekommen."
Adam schüttelte den Kopf. Aber Hannah war es leid, mit ihm zu streiten und schwieg.
„Glaubst du, sie würde dort glücklich sein?", fragte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Hannah, Tammy hat beinahe fünfundzwanzig Jahre ohne Rund-um- die-Uhr-Betreuung überlebt. Sie ist ein Freigeist. Ein bewundernswerter Freigeist. Und alles wird zerstört, wenn du sie in eine ..."
Was er noch sagen wollte, verschluckte er. Hannah hatte das sichere Gefühl, dass ihre Idee, Tammy in eine Anstalt für Menschen mit besonderem Pflegebedarf zu bringen, so entsetzlich für ihn klang, dass er sich nicht überwinden konnte, diesen Gedanken auszusprechen.
„Vor einiger Zeit habe ich dich gefragt", begann Adam jetzt mit merkwürdig kontrollierter Stimme, „warum du dich dagegen wehrst, dass Tammy ein erfülltes Leben hat. Ein reiches Leben, in dem sie sich mit der Liebe und mit den Beziehungen zu anderen Menschen auseinander setzt. Ich weiß, ich gehöre nicht zu eurer Familie. Aber ich will wirklich nur das Allerbeste für deine Schwester. Ich wünsche ihr, dass sie alles ausprobieren darf. Dass sie Schmerzen zu ertragen lernt, dass sie Anteil hat an allen problematischen Erfahrungen, die das Leben zu bieten hat." Adam sah Hannah an. Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. „Welchen Sinn hätte ihr Leben sonst?"
Adam meinte es gut, das wusste Hannah. Und sie konnte ihm seine Meinung auch nicht übel nehmen. Die gute Absicht änderte jedoch nichts daran, dass er auf dem falschen Wege war.
„Du verstehst es nicht", sagte sie. „Tammy wurde heute von einem fremden Mann angesprochen. Er hat ihr das ganze Geld weggenommen." Hannah schüttelte den Kopf und verbesserte sich. „Tammy hat ihm von sich aus jeden Penny gegeben, den sie bei sich hatte. Stell dir das mal vor! Ein Wunder, dass sie nicht verletzt, wurde, Adam. Sie hätte vergewaltigt werden können, ermordet ..." Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. „Wirklich, wir müssen dankbar sein, dass ihr sonst nichts passiert ist."
Sie seufzte. Was sie noch zu sagen hatte - die Wahrheit, die sie Adam verständlich machen musste - lastete ihr schwer auf der Seele.
„Ich bin nicht in der Lage, mich um Tammy zu kümmern. Und du auch nicht. Wir können nicht ständig und immerzu in ihrer Nähe sein. Das ist einfach unmöglich. Und das Erlebnis mit diesem Fremden beweist meine Meinung hundertprozentig."
Adam zog einen kleinen Zettel aus der Hosentasche. Seine Miene hellte sich auf vor offensichtlicher Freude. „Wir suchen den Mann."
„Suchen? Ja, wisst ihr denn, wer er ist? Tammy sagte, er sei nicht von hier."
Adam warf einen Blick auf den Zettel in seiner Hand. Dann schaute er Hannah an.
„James Welford, der Postbote von Little Haven, sah heute Nachmittag, wie Tammy mit einem Mann sprach. Mit jemandem, den er nie zuvor gesehen hatte. Obwohl er nicht besonders beunruhigt war, schrieb er sich auf Verdacht die Nummer seines Wagens auf."
„Dann kennen wir also das Kraftfahrzeugkennzeichen?"
Adams Mundwinkel verzogen sich zu einem verführerischen Lächeln. „James erwähnte dieses Erlebnis ganz zufällig, als er
mit Tom aus dem Eisenwarenladen plauderte. Als Tom wenig später Tammy weinend an seinem Laden vorbeilaufen sah, rief er mich an. Ich war schon auf dem Weg zu dir, sah dann aber deinen Wagen vor Hanks Büro parken."
Die fürsorgliche Teilnahme, die die Menschen in Little Haven Tammy entgegenbrachten, erfüllte Hannah mit großer Dankbarkeit. Aber ihr Lächeln schwand rasch wieder. „Bitte halte mich nicht für undankbar, Adam, aber die Tatsache, dass wir vielleicht - und ich betone das Wort .vielleicht' - Tammys Scheck zurückerhalten, ändert gar nichts. Die Aufgabe, für sie zu sorgen und über sie zu wachen, ist zu groß für mich. Ich kann sie nicht allein bewältigen."
Adams graublaue Augen verdunkelten sich. Er war offensichtlich
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