GK0168 - Die Nacht des Schwarzen Drachen
Pete Ramsey drehte mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen den Deckel der Thermosflasche zu. Der Rest Kaffee dampfte in einer Steinguttasse. Er war stark gesüßt und schmeckte ein wenig nach Zuckerwasser, aber das störte Ramsey nicht – er mochte den Kaffee so, wie seine Frau ihn kochte.
Aufseufzend lehnte sich Ramsey in seinen Drehstuhl zurück und nahm einen Schluck. Wie glühende Lava rann das Getränk durch seine Kehle und mobilisierte die Lebensgeister.
Das war auch gut so, denn einzuschlafen konnte sich Ramsey nicht erlauben in seinem Beruf als Nachtwächter. Er bewachte die große Lagerhalle der UNITED TRADE COMPANY – ein Vertrauensjob, den er seit drei Monaten innehatte. Es war wirklich ein Glücksfall in den Monaten der Arbeitslosigkeit. Vorher hatte er auf einer Kohlenzeche gearbeitet – unter Tage, bis ihn die Staublunge berufsunfähig machte. Und das mit achtundvierzig Jahren. Zwei lange Jahre hatte er krank gefeiert, drei Kuren hatte er hinter sich gebracht. Es war eine miese Zeit gewesen, und seine vierköpfige Familie hatte auf manches verzichten müssen. Aber nun schien Pete Ramsey das Glück wieder zu lachen.
Er war rundherum zufrieden.
Bedächtig packte er seine Sandwiches aus. Er klappte sie auseinander und nickte anerkennend.
Seine Blicke wanderten durch die Glasscheibe der kleinen Portiersloge hinaus in die Lagerhalle. Nur die Notbeleuchtung brannte und tauchte die riesige Halle in ein geisterhaftes Licht. Aufgereiht standen die großen Gabelstapler nebeneinander, mit der Front zur Halle hin, in der die unzähligen Kisten und Kästen lagerten. Diese UNITED TRADE COMPANY war schon ein gigantisches Unternehmen. Pete Ramsey spülte den letzten Bissen hinunter, rauchte noch eine Verdauungszigarette und begann dann mit seinem zweiten Rundgang.
Die Uhr zeigte exakt dreißig Minuten nach Mitternacht. Wie immer war Pete Ramsey pünktlich.
Es war grabesstill in der großen Halle. Pete Ramsey ging durch einen schmalen Gang. Stahlregale bildeten die beiden Seiten.
In den Regalen stapelten sich Kisten und Mini-Container. Die gesamte Ladung war systematisch geordnet, Zahlen und Fakten in einem Computer gespeichert, der auf Knopfdruck hin die genaue Position angab, wo sich die eine oder andere Ladung befand.
Ein raffiniertes, technisch ausgeklügeltes System.
Pete Ramsey war Optimist. Er glaubte noch immer an das Gute im Menschen und ahnte nicht, daß er sich noch sehr täuschen sollte.
Pete hielt die schwere Stablampe in der Rechten und bog jetzt in den breiteren Hauptgang ein, von dem schachbrettartig immer weitere Gänge abzweigten. Ramsey hatte mal einen Stadtplan von Manhattan gesehen und Parallelen zu diesem großen Lagerhaus festgestellt. Sogar der Verkehr war hier geordnet worden. Es galt das Einbahnstraßenprinzip.
Ramsey ging weiter. Er verließ den Hauptgang und betrat einen schmaleren, der bis zur Nordseite der Halle fiihrte. Dort war auch eine Kontrolluhr angebracht, die der Nachtwächter zu bedienen hatte.
Drei Minuten vor eins hatte er die Uhr erreicht.
Pete Ramsey hängte die Stablampe an sein schwarzes Lederkoppel und holte einen Stechschlüssel aus der Hosentasche.
Da hörte er das Geräusch!
Pete Ramsey ließ den kleinen Schlüssel sinken und hakte die Taschenlampe los.
Er ging ein paar Schritte vor und blieb lauschend stehen.
Das Geräusch wiederholte sich nicht.
Ramsey zuckte mit den Schultern. »Werde mich wohl getäuscht haben«, murmelte er.
Dann steckte er den Schlüssel in die dafür vorgesehene Öffnung und drehte die Kontrollanzeige.
Dabei glitt sein Blick nach rechts und fiel auf eine etwa sarggroße Kiste, die im untersten Fach des Stahlregals stand.
Der Nachtwächter bückte sich und leuchtete die Kiste ab.
Sie sah tatsächlich aus wie ein Sarg.
Pete Ramsey fühlte einen Schauer den Rücken hinabrieseln. Sollte vielleicht hier ein Toter aufbewahrt worden sein? Doch dann sah er die fremdartigen Schriftzeichen, die mit Fettkreide auf das Holz gemalt worden waren.
Chinesische Schriftzeichen. Und als Ramsey näher hinsah, erkannte er, daß die Kiste aus Hongkong kam.
Nee, sagte er sich. Da ist bestimmt kein Toter drin.
Den guten Pete Ramsey hatte jetzt die Neugierde gepackt. Er versuchte, die Kiste hochzuheben, und wunderte sich, wie leicht sie war. Schmugglergeschichten kamen ihm in den Sinn, und er dachte an Rauschgift aus Fernost. So nämlich hatte ein Film geheißen, den er sich angesehen hatte.
Der Nachtwächter mußte wieder einen Teil
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