Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
Türen sich wieder öffneten, sahen die Frauen uns beide mitleidig an. Sie verstanden, was hier vorging: Sie hatten selbst genügend Ehekräche hinter sich. Ich trat aus der Kabine und zur Seite, um sie vorbeizulassen, dann folgte ich ihnen in die Bahnhofshalle. Suzy war bestimmt irgendwo hinter mir. Ich machte mir nicht die Mühe, mich nach ihr umzusehen.
Sundance und Laufschuhe warteten bereits und atmeten tief durch, um ihre Körper mit Sauerstoff anzureichern, als ihre beiden Kumpel die Treppe heruntergestürmt kamen. Ich stellte Blickkontakt mit dem kleineren der beiden Agenten her und hob drohend die Flasche. Er machte eine beruhigende Handbewegung.
Die Frauen standen inzwischen an den Automaten und kauften Einzelfahrkarten nach London. Ich holte meine Kreditkarte heraus, kaufte mir ebenfalls eine und folgte ihnen zu dem wartenden Zug. Auf dem Bahnsteig herrschte eine Kakophonie aus deutschen und italienischen Stimmen. Die Touristen nickten erleichtert, als eine Lautsprecherdurchsage in drei Sprachen die bevorstehende Abfahrt des Zuges zum Londoner Bahnhof Liverpool Street ankündigte. Gepäckkarren rumpelten, Kleinkinder kreischten. Ich beobachtete das Viermannteam, das mich belauerte, und sah flüchtig Suzy mit einer Fahrkarte in der Hand.
Meine Urlauberinnen ließen die Gepäckkarren stehen und hievten ihre viel zu großen Koffer ins blaue Innere des abgenutzten Zuges. Als ich ihnen folgte, stiegen Sundance und Laufschuhe in den nächsten Wagen. Und die beiden anderen Kerle rannten draußen vorbei, um im Wagen hinter mir einzusteigen.
Unser Wagen war mit Gepäck, Menschen und sogar einem Pekinesen voll gestopft, den seine französische Besitzerin in einer offenbar eigens für ihn angefertigten Schultertasche trug. Alle Ausländer hatten ihre
Reiseführer aufgeschlagen, und ein paar nickten bereits ein. Ich stand in der Nähe des WCs neben dem Kreditkartentelefon. Suzy schlängelte sich zwischen Gepäckstücken und einem dreirädrigen Kinderwagen hindurch auf mich zu.
Eine Lautsprecherstimme verkündete auf Englisch, dieser Zug fahre mit einem Halt in Tottenham Hale direkt nach London. Nach den Übersetzungen ertönte der Summer, die Wagentüren schlossen sich, und der Zug fuhr ab.
Suzy kam bis auf wenige Schritte an mich heran.
»Bleib mir vom Hals, okay?«
»Nick, ich habe niemandem .«
Wir wurden für ein, zwei Sekunden in völlige Dunkelheit gehüllt, bevor das Licht wieder aufflammte. Was Suzy noch sagte, war nicht zu verstehen, weil der Zug lärmend durch den Tunnel ratterte. Ich lehnte mit der Flasche in der Hand am Telefon. Ich hatte nicht die Absicht, sie zu werfen, aber es musste so aussehen, als sei ich fest dazu entschlossen.
Als wir den Tunnel verließen, hörte ich eine weitere südenglische Stimme, diesmal eine männliche. »Fahrkarten, bitte.« Der Kerl arbeitete sich langsam auf uns zu. »Fahrkarten, bitte.« Ich sah über die Reihen von Köpfen zum nächsten Wagen hinüber. Sundance und Laufschuhe waren durch die Verbindungstür gekommen und hielten sich mit einer Hand an der Gepäckablage fest. Den Ausdruck auf ihren Gesichtern verstand ich nur allzu gut. Sundance sprach in sein Handy. Die Schnelle Eingreiftruppe würde jetzt vom Fernseher aufspringen
und zum Bahnhof Liverpool Street rasen.
Der Zug ratterte weiter, nicht sehr schnell, und ließ uns von einer Seite zur anderen schwanken. Suzys Handy klingelte, als ein paar Kinder, deren Vater ihnen etwas auf Deutsch nachrief, an ihr vorbeitobten. Sie wirkte überrascht. Ich war es nicht.
Sie hielt sich das Handy ans Ohr, hörte zu. »Hallo? Ja, Sir. Wir haben es.« Eine Pause. »Nein, das können wir nicht tun, Sir. Tut mir Leid.« Wieder eine Pause. »Ich kenne die Risiken, Sir, aber die Lage hat sich geändert, und ich habe nicht die Absicht . Nein, Sir, das kann ich nicht tun. Alles ist unter Kontrolle.«
Als sie das Handy zwischen uns hielt, konnte ich ihn toben hören: »Ich verlange, dass uns Dark Winter sofort übergeben wird! Lassen Sie sich keine Befehlsverweigerung zuschulden kommen! Setzen Sie Ihre Karriere nicht für diesen Mann aufs Spiel! Was zum Teufel fällt Ihnen überhaupt ein?«
Ich verrenkte mir den Hals, um ins Mikrofon sprechen zu können. »Sie können das Zeug haben, sobald ich fertig bin. Weitere Erklärungen gibt’s später.«
»Stone, ich kann mir denken, was passiert ist. Sie waren heute Morgen nicht in der Wohnung, also haben wir nach Ihnen gefahndet. Wo ist der Informant? Er ist verschwunden.
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