Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Vorwort
Bereits im Jahr 2004 tauchte die Idee auf, mein Leben niederzuschreiben. Die Anregung kam von meiner Frau Benita; zu diesem Zeitpunkt konnte sie mich jedoch nicht von der Notwendigkeit einer Biografie überzeugen. Trotzdem begann sie 2005 mit einer Gliederung, verfasste die ersten Abschnitte über meine Herkunft, meine Familie und zeichnete meinen politischen Werdegang auf. Wann immer sie Gelegenheit fand, fügte sie Erlebnisse und Begebenheiten hinzu und puzzelte an meiner Biografie, sodass im Lauf der Zeit ein Gerüst entstand. Sie notierte alle meine Aktivitäten, sammelte sämtliche Veröffentlichungen und führte in dieser Weise ein »politisches Tagebuch«. Immer wieder versuchte Benita mich zu überzeugen, dass es an der Zeit wäre, sich an einen Verlag zu wenden, stieß bei mir aber auf taube Ohren – ich hatte zu viel zu tun und brachte die Energie nicht auf. Später erwies sich Benitas Vorarbeit als außerordentlich hilfreich.
Den eigentlichen Anstoß, Benitas Idee in die Tat umzusetzen, gab Peter Brinkmann, ein Berliner Journalist, den ich seit mehr als vierzig Jahren kannte und dessen Weitsicht, politische Erfahrung und Ausgewogenheit ich schätzte. Peter Brinkmann besuchte mich 2009 in Palästina, wohin ihn eine Reportage über den Tunnelbau der Hamas im Gazastreifen geführt hatte. Bei unseren Gesprächen über die alten Zeiten und die aktuelle Entwicklung Palästinas schnitt er auch das Thema einer Biografie an – gerade beim derzeitigen Stand der Dinge, sagte er, halte er ein Buch über mein politisches Leben für sinnvoll. Aber, so fügte er hinzu, man werde sich für dieses
Projekt der Mitarbeit eines versierten Schreibers versichern müssen. Er versprach, sich darum zu kümmern, rief mich im März 2010 an und sagte: »Ich habe nicht nur einen guten, ich habe den besten Schreiber für dein Buch gefunden – Leo G. Linder.«
Der Name sagte mir nichts, und ich blieb skeptisch. Ein Buch, gerade jetzt, da ich mich nicht in Deutschland befand und in Ramallah mehr als genug zu tun hatte? Wie würde sich der Zeitaufwand mit meiner Arbeit vereinbaren lassen? Ich hielt den Zeitpunkt immer noch für ungünstig und gab meine Reserve erst auf, als ich Leo G. Linder kennenlernte.
Er besuchte mich in Ramallah, blieb fünf Wochen und führte täglich stundenlange Gespräche mit mir, oder besser: ließ mich erzählen, legte auch auf scheinbar Nebensächliches wert und öffnete mir den Weg zurück in die Kindheit, holte selbst verschüttete Erinnerungen aus der Tiefe hervor. Mit ihm lebte ich mein Leben noch einmal durch. Wie gut er sein Gegenüber verstand, zeigte sich auch, als es ans Schreiben ging und Linder für meine Erinnerungen eine überzeugende, ausdrucksvolle Sprache fand. Sein Einfühlungsvermögen hat die Zusammenarbeit für mich zu einem Erlebnis gemacht, und der Erfolg, den dieses Buch für mich bedeutet, ist auch seinem Einsatz, seiner Geduld und seinem Können zu verdanken.
»Aber es gibt kein Palästina …«
Am Abend des 28. November 1962 landete ich in Frankfurt am Main. Zum ersten Mal betrat ich deutschen Boden.
Meine Maschine kam aus Kairo, aber aufgebrochen war ich zu dieser Reise in Gaza, wo meine Familie seit ihrer Vertreibung lebte, wo ich zur Schule gegangen war, wo ich kurz zuvor das Abitur gemacht hatte. Der Frankfurter Flughafen war damals nicht groß, nach wenigen Schritten stand man vor dem Schalterhäuschen, in dem der Zollbeamte saß, der die Passkontrolle durchführte. Ich reichte ihm meinen Pass. Er betrachtete ihn, wendete ihn hin und her, schaute dann auf und fragte: »Was ist das?« – »Mein Pass«, sagte ich. Die Antwort befriedigte ihn nicht. »Woher kommen Sie denn?«, wollte er wissen. »Aus Palästina«, antwortete ich. Er nahm die Auskunft mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis. »Aber es gibt kein Palästina …«, sagte er. Nicht unfreundlich, nur ratlos.
Tatsächlich war das, was er in Händen hielt, ein »Laissez-passer«, ausgestellt von einer ägyptischen Verwaltungsstelle, ein Reisedokument, das mich nicht als Palästinenser, sondern als palästinensischen Flüchtling auswies. »Also, es gibt kein Palästina«, stellte der Beamte im Schalterhäuschen noch einmal fest. Und dann benutzte er ein deutsches Wort, das mir nur allzu vertraut werden sollte, er sagte: »Mithin staatenlos.« Ich verstand kein Deutsch, aber es klang wie »stateless«, und ich machte mir meinen Reim darauf. In jenem Augenblick wurde mir mein Zustand zum ersten Mal
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