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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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sorgen müssen wie ein erwachsener Mensch. Er hat
     sich für zu gut gehalten, auch nur um eine Mahlzeit zu betteln, er wollte immer alles bezahlen. Er sagte, es schicke sich
     nicht für einen Mann zu betteln. Er ging auf dem Lande herum und kaufte Eier und Butter auf, und er war so gewiegt im Handeln
     wie ein alter Kaufmann. Er war nie fahrlässig und er steckte nie auch nur einen Pfennig beiseite, sondern brachte mir alles.
     Der kleine Mads nahm seine Arbeit mit, wenn er Gänse auf dem Felde hütete und war so fleißig, als wäre er ein erwachsener
     Mann. Die Bauern da unten m Schonen gaben dem kleinen Mads oft vielGeld mit, wenn er von einem Hof zum andern ging, denn sie wußten, daß sie sich auf ihn verlassen konnten wie auf sich selbst.
     Darum ist es nicht richtig zu sagen, daß der kleine Mads nur ein Kind gewesen sei, denn es gibt viele Erwachsene, die nicht
     –«
    Der Inspektor stand da und sah zu Boden; keine Muskel in seinem Gesicht bewegte sich, und das Gänsemädchen Aase schwieg, denn
     sie glaubte, daß ihre Worte keinen Eindruck auf sie machten. Daheim war es ihr gewesen, als hätte sie so viel von dem kleinen
     Mads zu sagen, aber jetzt erschien es ihr so gar wenig. Wie sollte sie dem Inspektor begreiflich machen, daß der kleine Mads
     es verdiente, mit denselben Ehren begraben zu werden wie ein Erwachsener?
    »Und wenn ich doch das ganze Begräbnis selbst bezahlen will ...« sagte Aase und dann schwieg sie wieder.
    Da erhob der Inspektor den Kopf und sah dem Gänsemädchen Aase in die Augen. Er maß und wog sie, wie es der zu tun pflegt,
     der viele Menschen unter sich hat. Er dachte daran, was sie alles durchgemacht hatte, indem sie ihr Heim und die Eltern und
     Geschwister verlor; aber das hatte ihren Mut nicht gebrochen, und es würde sicher ein prächtiges Menschenkind aus ihr werden.
     Er wagte nicht, der Last, die sie zu tragen hatte, noch mehr hinzuzufügen, denn es könnte ja sein, daß dies der Strohhalm
     würde, unter dem sie zusammenbrach. Er begriff, welch Entschluß es sie gekostet hatte, zu ihm zu kommen, um mit ihm zu reden.
     Sie mußte diesen Bruder ja über alles in der Welt geliebt haben. Einer solchen Liebe durfte man nicht mit einem Abschlag begegnen.
    »Es geschehe, wie du willst,« sagte der Inspektor.

XLIV. Bei den Lappen
    Die Beeidigung war vorüber. Alle Gäste des Gänsemädchens Aase waren gegangen, und sie saß allein in der kleinen Hütte, die
     ihrem Vater gehört hatte. Sie hatte die Tür abgeschlossen, um Ruhe zu haben und an ihren Bruder denken zu können. Sie dachte
     an alles, was der kleine Mads gesagt und getan hatte, an eins nach dem andern, und das war so viel, daß sie vergaß zu Bett
     zu gehen und nicht nur den ganzen Abend, sondern bis spät in die Nacht sitzen blieb. Je mehr sie an den Bruder dachte, um
     so klarer wurde es ihr, wie schwer es sein würde, ohne ihn zu leben, und schließlich legte sie den Kopf auf den Tisch und
     weinte bitterlich. »Was soll aus mir werden, wenn ich den kleinen Mads nicht mehr habe,« schluchzte sie.
    Es war, wie gesagt, spät in der Nacht, und das Gänsemädchen Aase hatte einen anstrengenden Tag gehabt, da war es denn nicht
     verwunderlich, daß der Schlaf sie übermannte, sobald sie den Kopf senkte. Und es war ja auch nicht verwunderlich, daß sie
     von dem träumte, an den sie fortwährend gedacht hatte. Es war ihr, als komme der kleine Mads leibhaftig zu ihr ins Zimmer
     herein. »Aase, jetzt mußt du dich aufmachen und versuchen, unsern Vater zu finden,« sagte er. – »Wie kann ich das nur, ich
     weiß ja nicht einmal, wo ich ihn suchen soll,« schien sie zu antworten. – »Darüber sollst du dir keine Sorgen machen,« entgegnete
     der kleine Mads frisch und fröhlich, wie eseine Art war. »Ich will dir schon jemand schicken, der dir helfen kann.«
    Während das Gänsemädchen Aase träumte, daß der kleine Mads dies sagte, klopfte es an ihre Kammertür. Es war ein wirkliches
     Klopfen und nicht etwas, was sie träumte. Aber sie war in dem Maße von ihrem Traum befangen, daß sie nicht zu unterscheiden
     vermochte, was Wirklichkeit war und was Einbildung, und als sie hinging, um die Tür zu öffnen, dachte sie: ›Nun kommt ganz
     sicher der Helfer, den der kleine Mads nur zu schicken versprochen hat.‹
    Hätte nun Schwester Hilma oder irgendein anderer richtiger Mensch auf der Schwelle gestanden, als das Gänsemädchen Aase die
     Tür öffnete, so würde sie gleich gemerkt haben, daß der Traum aus

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