Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
darüber zu wundern, daß
ihr Vater bisweilen in die Einöde ging. Hier oben waren sie wohl daran gewöhnt, daß jeder nach seinem eigenen Kopf handelte.
Aase war bald mit sich im reinen, wie sie das Begräbnis haben wollte. Am letzten Sonntag hatte sie gesehen, wie einer der
Grubenaufseher beerdigt wurde. Er war von des Inspektors eigenen Pferden nach der Kirche in Gellivare gefahren worden, und
ein langer Zug von Grubenarbeitern war dem Sarge gefolgt. Am Grabe hatte eine Musikkapelle gespielt und ein Singchor gesungen.
Und nach dem Begräbnis wurden alle, die mit in der Kirche gewesen waren, zum Kaffee in die Schule geladen. Etwas Ähnliches
wünschte das Gänsemädchen Aase für ihren kleinen Bruder Mads.
Sie hatte sich schon so lebhaft dahinein gedacht, daß sie beinahe den ganzen Leichenzug vor Augen sah, aber dann sank ihr
Mut wieder, und sie sagte sich selbst, daß es wohl nicht so werden könne, wie sie es wünschte. Nicht weil es zu teuer geworden
wäre. Sie hatten soviel Geld zusammengespart, sie und der kleine Mads, daß sie ihm ein so schönes Begräbnis bereiten konnte,
wie sie es nur wünschenmochte. Die Schwierigkeit lag darin, daß erwachsene Menschen – das wußte sie – sich nie nach einem Kinde richten würden.
Sie war nur ein Jahr älter als der kleine Mads, der so klein und schmächtig aussah, wie er da tot neben ihr lag. Und sie selber
war ja auch nur ein Kind.
Die erste, mit der sie über das Begräbnis sprach, war die Krankenpflegerin. Schwester Hilma kam gleich nachdem der kleine
Mads gestorben war, und schon ehe sie die Tür öffnete, wußte sie, daß es um diese Zeit vorbei sein mußte. Am vorhergehenden
Nachmittag war der kleine Mads in der Nähe der Gruben umhergelaufen. Er war einem großen Luftschacht zu nahe gekommen, als
gerade eine Sprengung vorgenommen wurde, und einige Steine hatten ihn getroffen. Er war ganz allein und blieb lange bewußtlos
am Boden liegen, ohne daß jemand wußte, was geschehen war. Schließlich bekamen einige Männer, die unter dem Luftschacht arbeiteten,
auf eine wunderliche Weise Kenntnis davon. Sie behaupteten, ein kleiner Wicht, der nicht viel größer als eine Spanne hoch
gewesen, an den Rand der Grube gekommen sei und ihnen zugerufen habe, sie sollten dem kleinen Mads schleunigst zu Hilfe kommen,
er liege oben vor der Grube und sei nahe daran, zu verbluten. Darauf wurde der kleine Mads nach Hause getragen und verbunden,
aber es war schon zu spät. Er hatte einen so großen Blutverlust erlitten, daß er nicht mehr leben konnte.
Als die Krankenpflegerin ins Zimmer trat, dachte sie nicht so sehr an den kleinen Mads als an seine Schwester. »Was soll ich
nur mit dem armen Kinde anfangen?« fragte sie sich, »Sie ist gewiß ganz untröstlich.«
Aber Schwester Hilma sah, daß Aase weder weinte noch klagte, sie half ihr ganz ruhig bei allem, was getan werden mußte. Die
Krankenpflegerin wunderte sich sehr darüber, aber sie erhielt Aufklärung, als Aase mit ihr über das Begräbnis zu sprechen
begann.
»Wenn man mit jemand, wie der kleine Mads, zusammengewesen ist,« sagte Aase, die sich gern ein wenig altklug und feierlich
ausdrückte, »so muß man vor allem daran denken, wie man ihn ehren kann. Hinterher ist Zeit genug zum Trauern.«
Und dann bat sie die Krankenpflegerin, ihr behilflich zu sein, dem kleinen Mads ein ehrenvolles Begräbnis zu verschaffen.
Niemand habe das mehr verdient als er.
Die Krankenpflegerin meinte, daß, wenn das arme, verlassene Kind darin Trost finden könne, dies nur ein Glück sei. Sie versprach
ihr zu helfen, und das war eine große Sache für Aase. Jetzt war es ihr, als sei das Ziel fast erreicht, denn Schwester Hilma
hatte viel zu sagen. In dem großen Grubenfeld, wo die Sprengschüsse jeden Tag ertönen, wußte ja jeder Arbeiter, daß er jeden
Augenblick von einem Stein oder von einem herabstürzenden Felsblock getroffen werden könne, und darum wollten sich alle gern
gut mit der Krankenschwester stellen.
Als daher Schwester Hilma und Aase bei den Grubenarbeitern herumgingen und baten, ob sie nicht am nächsten Sonntag dem kleinen
Mads das letzte Geleite geben wollten, waren da nicht viele, die nein sagten. »Ja, wenn Schwester Hilma uns darum bittet,
dann wollen wir es schon tun,« sagten sie.
Die Krankenpflegerin brachte auch die Sache mit demQuartett von Blasinstrumenten, das am Grabe spielen sollte und mit dem kleinen Singechor glücklich in Ordnung.
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