Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Dahingegen
tat sie keine Schritte wegen des Schulhauses; da noch das schönste Sommerwetter war, wurde beschlossen, daß das Trauergefolge
draußen im Freien Kaffee trinken sollte. Bänke und Tische sollten aus dem Goodtemplersaal geliehen werden und Tassen und Teller
von den Kaufleuten. Einige Arbeiterfrauen, die in ihren Truhen allerlei Sachen hatten, die sie nicht benutzten, solange sie
hier in der Einöde wohnten, holten der Schwester zuliebe ihre seinen Gedecke hervor, um sie auf den Kaffeetischen auszubreiten.
Dann wurden Zwieback und Kringel bei einem Bäcker in Boden bestellt und schwarz-weißes Konfekt bei einem Konditor in Luleå.
Es herrschte eine solche Aufregung aus Anlaß des Begräbnisses, das Aase für ihren kleinen Bruder veranstalten wollte, daß
ganz Malmberget davon sprach. Und schließlich erfuhr auch der Inspektor, was im Schwange war.
Als er hörte, daß fünfzig Grubenarbeiter einen zwölfjährigen Knaben zu Grabe geleiten wollten, obwohl dieser, soviel er wußte,
nur ein umherstreifender Betteljunge gewesen war, fand er, daß das der reine Wahnsinn sei. Und Gesang und Musik und Kaffeegesellschaft
wollten sie haben, und das Grab sollte mit Grün bekleidet werden, und Konfekt aus Luleå! Er schickte sofort zu der Krankenpflegerin
und bat sie, dies alles zu verhindern. »Es ist unrecht, ein armes Kind sein Geld so vergeuden zu lassen,« sagte er. »Es kann
ja nicht angehen, daß sich erwachseneMenschen nach dem Einfall eines Kindes richten. Sie machen sich ja alle miteinander lächerlich!«
Der Inspektor war weder zornig noch heftig. Er sprach ganz ruhig und bat die Krankenpflegerin, den Gesang und die Musik und
das lange Leichengefolge abzubestellen. Es würde ja genügen, wenn ein Dutzend Menschen den Jungen zu Grabe geleiteten. Und
die Krankenpflegerin widersprach dem Inspektor mit keinem Wort, teils aus Respekt und teils weil sie selbst fühlte, daß er
recht hatte. Es war zu viel Wesens von so einem Betteljungen machen! Aus Mitleid mit dem armen Mädchen war ihr Herz mit dem
Verstand durchgegangen.
Von der Villa des Inspektors ging die Krankenpflegerin nach dem Barackenviertel, um Aase zu sagen, daß sie es nicht so ausrichten
könne, wie sie es wünschte, aber sie tat das nicht leichten Herzens, denn niemand wußte besser als sie, was dies Begräbnis
für das arme Kind bedeutete. Auf dem Wege begegnete sie ein paar Arbeiterfrauen und sprach mit ihnen über diese Schwierigkeiten.
Sie sagten sofort, sie fänden, daß der Inspektor recht habe. Es sei ein Unsinn, so viel Aufhebens von einem Betteljungen zu
machen. Natürlich tue ihnen das kleine Mädchen leid, aber es sei widersinnig, daß ein Kind auf diese Weise alles ordnen und
einrichten wolle. Es wäre gut, daß aus dem Ganzen nichts würde.
Die Frauen gingen nach Hause und erzählten es weiter, und bald lief das Gerücht, daß aus dem großen Begräbnis für den kleinen
Mads nichts werden könne, vom Barackenviertel bis zum Grubenschacht. Und alle stimmten darin überein, daß es das einzig Richtige
sei.
In ganz Malmberget war wohl nur eine, die anderer Ansicht war, nämlich das Gänsemädchen Aase. Die Krankenpflegerin hatte
wirklich einen harten Kampf mit ihr zu bestehen. Aase weinte weder, noch klagte sie, aber sie wollte sich nicht fügen. Sie
sagte, sie habe den Inspektor nicht um Hilfe gebeten, folglich habe er auch nichts mit der Sache zu tun. Er könne ihr ja nicht
verbieten, ihren Bruder so zu begraben, wie sie wollte.
Erst als mehrere von den Frauen bei ihr gewesen waren und ihr erklärt hatten, daß jetzt, wo der Inspektor nichts davon wissen
wolle, niemand zum Begräbnis kommen werde, wurde es ihr klar, daß sie seine Erlaubnis haben mußte.
Sie saß einen Augenblick da und überlegte, dann stand sie plötzlich auf. »Wo willst du hin?« fragte die Krankenpflegerin.
»Ich muß zu dem Inspektor gehen und selbst mit ihm reden,« erwiderte Aase. – »Du glaubst doch wohl nicht, daß er sich an das
kehrt, was du sagst?« meinten die Frauen. – »Ich glaube, der kleine Mads will, daß ich zu ihm gehen soll,« antwortete Aase.
»Der Inspektor hat wahrscheinlich nie gehört, was für ein Mensch er gewesen ist.«
Das Gänsemädchen Aase machte sich schnell fertig und war bald auf dem Wege zum Inspektor. Es erschien nun aber allen ganz
unglaublich, daß ein Kind wie sie daran denken konnte, den Inspektor, den mächtigsten Mann in ganz Malmberget, von dem
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