Night School 02 - Der den Zweifel saet
links von seinem Mund hatten sich kleine weiße Zornesfalten gebildet. »Das ist das Unverantwortlichste, was ein Schüler überhaupt tun kann. Ihr hättet sterben können. Sylvain hätte sterben können.«
»Wir sind aber noch am Leben.« Ein flüchtiges Gefühl des Stolzes ließ sie aufrechter stehen. »Und ich erkläre hiermit, dass es allein meine Schuld war. Ich habe Sylvain überredet, mitzukommen. Er hat versucht, mich aufzuhalten, aber …«
Da erklang Isabelles Stimme aus dem Türrahmen, wo sie in einem weißen Morgenmantel, das offene Haar über die Schultern fließend, dastand wie ein Racheengel: »Sylvain wird sich selbst für sein Handeln verantworten müssen. Raj, Allie, in mein Büro.« Und zu dem Hilfssanitäter gewandt: »Bring ihn auf die Krankenstation.«
»Mir geht’s gut«, sagte Sylvain und versuchte mühsam, auf die Beine zu kommen. »Ich komme mit euch.«
»Auf die
Krankenstation
«, befahl Isabelle mit mühsam unterdrückter Wut.
Doch er gab nicht nach. »Ich komme mit Allie«, nuschelte er, als hätte er den Mund voller Eiswürfel. »Isabelle.«
Es klang wie eine Drohung, als er den Namen der Rektorin aussprach. Oder eine Ermahnung. Verwundert sah Allie vom einen zur anderen.
Isabelle schloss die Augen und holte tief Luft. »Also gut. Ich würde es allerdings sehr begrüßen, wenn du mir nicht mein Büro vollblutest.« Sie schnippte mit den Fingern Richtung Sanitäter. »Gib ihm ein Handtuch. Also dann, ihr drei. Mitkommen.«
Isabelle ging voran durch die Halle, Sylvain humpelte neben Allie her, und die Nachhut bildete Raj Patel.
Damit wir nicht abhauen
.
In ihrem Büro angekommen, gab Isabelle jedem eine Flasche Wasser. Allie schüttete etwas Wasser auf das Handtuch und tupfte Sylvains Wunden ab. Die meisten waren wohl nur oberflächlich, doch sein Gesicht war in erschreckender Weise angeschwollen. Vielleicht hatte Gabe ihm den Kiefer gebrochen.
Sylvain saß die ganze Zeit stoisch und still da. Als wären die Schmerzen nicht wichtig. Plötzlich sah er auf, ihre Blicke trafen sich. Sie hielt inne, während die Ereignisse sie mit aller Wucht überfielen. Sylvain wäre fast für sie gestorben. Schon wieder.
Sie forschte in seinen Augen nach einer Antwort auf ihre Frage.
Warum? Warum riskierst du dein Leben für mich?
»Sylvain, wenn du nachher dieses Büro verlässt, wirst du direkt zum Arzt gehen, oder, bei Gott, ich setze dich ins nächste Flugzeug nach Frankreich«, riss Isabelles verärgerte Stimme Allie aus ihren Gedanken. Dann wandte die Rektorin sich an Mr Patel. »Was wissen wir?«
»Die Wachablösung auf dem Gelände erfolgte um Mitternacht«, begann er in geschäftsmäßigem Ton. »Zwei meiner Leute, die zur Ablöse kamen, erhielten Anrufe von meinem Handy, in denen ihnen gesagt wurde, sie würden nicht gebraucht. Wie es Vorschrift ist, haben sie mich über unser internes Netz benachrichtigt. Auf diese Weise erfuhren wir, dass für heute Nacht etwas geplant war. Wir haben die Wachen verdreifacht, und wir sind sicher, dass Nathaniels Leute nicht in die Nähe des Gebäudes gekommen sind.«
»Habt ihr in Erfahrung bringen können, wie viele von seinen Leuten auf dem Gelände waren?«, fragte Isabelle.
»Wir wissen von dreien.«
Drei. Noch einer war also da gewesen. Allie versuchte, nicht daran zu denken, was mit Sylvain passiert wäre, wenn dieser Dritte sie daran gehindert hätte, auf Gabe einzustechen.
»Wo sind sie jetzt?«
Mr Patel räusperte sich. »Mein Team glaubt, dass sie das Gelände verlassen haben, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Das Gebäude ist von meinen Leuten umstellt, und vier Mann patrouillieren innen.«
»Wir wissen also nicht, wo sie sich aufhalten«, hakte Isabelle unerbittlich nach und wandte sich Allie zu. Der fiel auf wie blass sie war; die Haut über den markanten Wangenknochen spannte. »Nun zu dir, Allie. Erzähl mir, was passiert ist.«
Rasch erzählte Allie ihr von dem Brief und dem Treffen und allem, was Christopher über Nathaniel und jemanden, der »bei euch drin« sei, gesagt hatte. Fast alles berichtete sie – bis auf das, was er über Isabelle gesagt hatte, dazu konnte Allie sich in diesem Moment nicht durchringen.
Während Allie erzählte, veränderte sich Isabelles Miene. Die Farbe kehrte auf ihre Wangen zurück, und ihre goldbraunen Augen sprühten vor Zorn. Sie wechselte einen vielsagenden Blick mit Raj Patel.
»Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wütend ich auf euch bin …«, hob sie an, wobei sie sich
Weitere Kostenlose Bücher