Night School. Der den Zweifel sät (German Edition)
Weißt du, ich versuche …« Doch ihre Stimme erstarb. Wozu auch? Was immer sie sagte, es änderte nicht das Geringste. »Es … tut mir leid.«
Mit diesen Worten ließ sie Jules stehen. Die Lunge war wie in einem Käfig zwischen den Rippen eingesperrt, und sie hatte das schreckliche Gefühl, dass alles entsetzlich schiefgegangen war.
Sylvain war also wohlauf und auch nicht der Schule verwiesen worden. Nun musste sie unbedingt noch etwas anderes erledigen, ehe sie Isabelle aufsuchte und sich ihrem Schicksal stellte, was immer sie auch erwartete: Sie musste mit Carter reden.
Mit langsamen, widerstrebenden Schritten mischte sie sich unter die schnatternden Schüler, die entspannt den Samstagmorgen genossen. Wenn Jules wusste, was passiert war, wusste Carter es vermutlich auch schon. Dann wusste er, dass sie Christophers Brief vor ihm geheim gehalten, dafür aber mit jemandem darüber gesprochen hatte, den er hasste wie die Pest. Und dass sie ihn angelogen hatte.
Das wird er mir nie verzeihen
, dachte sie.
Wieso sollte er? Ich bin eine Lügnerin. Wie alle in meiner Familie … Und ich hatte ihm versprochen, nicht mehr mit Sylvain abzuhängen.
Allie war so mit der Selbstbezichtigung beschäftigt, dass Jo fast unbemerkt an ihr vorbeigewitscht wäre. Erst im letzten Augenblick erkannte sie sie.
»Hey, Jo, hast du vielleicht …« Doch als sie Jos gerötetes und verheultes Gesicht sah, hielt sie inne. Das blonde Haar war zerwühlt, die Uniform schief geknöpft. »Bist du … Was ist los, Jo?«
»Stimmt das?«, fragte Jo und starrte sie aus roten Augen an. »Was alle sagen, meine ich. Stimmt das?«
»Ich weiß wirklich nicht …« Allies Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an, und das Pochen in ihrem Kopf wurde immer lauter und dringender. »Was sagen alle?«
»Hast du heute Nacht Gabe gesehen? Hier?«, fragte Jo so schroff, dass andere Schüler stehen blieben und sie anstarrten.
Allie nahm Jos Hand, um sie weg vom Flur Richtung Küche zu ziehen, doch Jo wollte nicht, sie schlug auf Allies Handgelenk und riss sich los. Der Schlag tat weh, Allie zog ihre Hand zurück.
»Beruhige dich, Jo«, sagte sie mit besorgtem Blick auf ihre Freundin und wählte ihre Worte sorgfältig. »Ja, ich habe Gabe heute Nacht gesehen. Er ist auf dem Gelände rumgeschlichen.«
»Was …« Jo starrte sie an und versuchte zu verarbeiten, was sie soeben gehört hatte. »Was hat er getan? Wieso hast du ihn überhaupt getroffen?«
Allie wusste nicht, wie viel von den nächtlichen Ereignissen allgemein bekannt war, deshalb senkte sie die Stimme. »Christopher wollte sich mit mir treffen.« Bei der Erinnerung, wie Gabe sie brutal durch den Wald geschleppt hatte, drehte sich ihr der Magen um. »Gabe war bei ihm.«
»Wieso hast du mir das nicht gesagt?« Der anklagende Ton in Jos Frage traf Allie unvorbereitet.
»Was hätte ich dir denn sagen sollen?«
»Du hast dich mit Gabe getroffen und mir nichts davon gesagt.«
»Menschenskind, Jo!« Allie musste an sich halten. Jo war offensichtlich neben der Spur; sich aufzuregen, hätte nichts gebracht. Sie wusste nicht, was passiert war, und wann immer es um Gabe ging, wurde sie völlig irrational. »Ich wollte Christopher treffen und niemanden sonst. Ich wollte nur ein paar Antworten. Ich wusste nicht, dass Gabe auch da sein würde. Dass er auftauchte, war nicht vorgesehen. Und überhaupt sollten wir über all das nicht sprechen.«
Jo sah ihr lange in die Augen. »Du würdest doch nicht mit Gabe reden, ohne es mir vorher zu sagen, oder?«
»Nein, Jo«, erwiderte Allie traurig. »Das würde ich nie tun. Aber du musst aufhören, dich mit Gabe zu beschäftigen. Er tut dir nicht gut. Er tut niemandem gut.«
»Das weiß ich«, blaffte Jo zurück. »Aber … Verstehst du nicht? Ich hatte nie Gelegenheit, ihn nach dem Warum zu fragen.«
Allie musste an ihren eigenen mächtigen Wunsch denken, Christopher zu fragen, warum er die Familie verlassen hatte, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass sie Jos irrationale Verbundenheit mit Gabe nachvollziehen konnte.
»Ich verspreche es dir«, sagte sie und griff nach Jos Hand. Diesmal schlug Jo sie nicht. »Sollte Gabe jemals direkt Kontakt zu mir aufnehmen, werde ich es dir sagen.«
Mit zitternder Hand klopfte sie kurz darauf an die Tür zu Isabelles Büro. Das Pochen in ihrem Kopf war schlimmer geworden: als würde ein Jazzdrummer auf die Innenseite ihrer Schädeldecke trommeln. Aber sie musste da durch.
»Herein.«
Die Rektorin
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