Night School. Der den Zweifel sät (German Edition)
blitzte ihn an. »Gerade du hättest es nun wirklich besser wissen müssen! Ich vertage die Sache für heute, weil ich keine überstürzten Entscheidungen treffen will, aber eigentlich müsste ich euch beide dafür von der Schule werfen. Verdammt noch mal!« Sie schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ihr habt euch selbst und die Schule in Gefahr gebracht. Dabei hättet ihr es besser wissen müssen, alle beide!«
Eine Zeit lang starrte sie über Allies Kopf hinweg auf den Wandteppich mit dem Ritter und der Maid, der die ganze Wand einnahm. Als Allie etwas erwidern wollte, hob Isabelle warnend die Hand.
»Kein Wort!«, schnappte sie.
Eine ganze Weile saßen alle still da. Nur ab und zu hörte man einen alten Balken knarren und den Atem der Anwesenden.
Als Isabelle weitersprach, war ihre Stimme wieder normal: »Allie, du hast die wichtigsten Regeln gebrochen, und du hast mein Vertrauen missbraucht. Du bewegst dich gerade auf sehr dünnem Eis. Sylvain …«
Der Zorn in ihrem Blick war so unverhohlen, dass Allie Angst um ihn bekam.
»Du musst den anderen über das berichten, was du erfahren hast. Als Erstes werde ich für morgen ein Treffen an gewohnter Stelle einberufen – vorausgesetzt, du kannst daran teilnehmen.« Sie sah ihm fest in die Augen, als sie fortfuhr: »Du kannst von Glück reden, wenn Jerry Cole nicht deinen Verweis aus der Night School beantragt. Aber das war dir ja klar.«
»Was? Ihr dürft Sylvain nicht rausschmeißen!«, protestierte Allie und rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn. »Ich war es doch, die ihn …«
»Das ist keine Entschuldigung für jemanden, der so erfahren ist wie Sylvain.« Aus Isabelles Stimme war alle Sympathie gewichen, sie klang jetzt nur noch resigniert. »Er hat euer beider Leben aufs Spiel gesetzt. Er kennt die Internatsordnung besser als jeder andere. Er hat gewusst, welche Strafe ihn erwartet.«
Schockiert wandte Allie sich Sylvain zu, der Isabelle durch seine geschwollenen Augen ansah.
Er ist mit mir gegangen, obwohl er wusste, dass er alles verlieren könnte?
Allie wusste nicht, was überwog: ihre Schuldgefühle oder ihre Verwirrtheit.
»Ich glaube, es ist besser, wenn du an diesem Treffen nicht teilnimmst, Allie«, fuhr Isabelle fort. »Wir werden Zelazny beknien müssen, damit er dich nicht rausschmeißt. Wenn du dabei wärst, würde es die Sache nur schlimmer machen. Ich lasse dich später rufen.«
»Ich will mit einbezogen werden«, sagte Allie plötzlich und setzte sich auf. »Was immer als Nächstes geschieht. Ich will helfen.«
»Ich glaube nicht, dass du dir darüber jetzt Gedanken machen musst«, erwiderte Isabelle frostig. »Du steckst bis zum Hals mit drin, ob’s dir gefällt oder nicht.«
Zwanzig
»Alles okay mit dir? Du musst unbedingt zur Krankenschwester.« Sie standen im Flur vor Isabelles Büro. Allie betrachtete besorgt Sylvains zerschundenes Gesicht. Es blutete nicht mehr, doch ein Auge war beinahe zu, und der Kiefer war so dick angeschwollen, dass er ihn fast nicht bewegen konnte.
»Mach ich«, antwortete er und zwinkerte ihr mit dem heilen Auge zu.
»Wie geht’s deinem …«, fragte sie und deutete auf ihren Hals.
Er zuckte matt die Achseln und wand sich sogleich vor Schmerzen. »Gut, glaube ich.«
Schon das Reden schien ihm Schmerzen zu bereiten, und während sie in unbehaglichem Schweigen dastanden, fielen Allie tausend Dinge ein, die sie sagen wollte, doch sie wusste nicht, wie. Geschweige denn, ob sie auch wirklich das ausgedrückt hätten, was sie empfand.
Was empfand sie eigentlich?
Danke, dass du beinahe für mich gestorben wärst. Danke, dass du alles für mich riskiert hast. Danke, dass du für mich da gewesen bist … Wie geht es jetzt mit uns weiter?
Stattdessen sagte sie: »Soll ich mitkommen? Brauchst du Hilfe?«
»Ich denke, ich krieg das schon hin«, sagte er schmerzverzerrt. »Allein.«
»Okay.«
»Also dann«, sagte er nach einer Pause. »Tschüss.«
Während er sich auf den Weg zur Krankenstation machte, ballte sie ihre Fäuste so fest zusammen, dass sich ihre Nägel in die Handflächen bohrten.
Soll ich ihn wirklich einfach so gehen lassen, nach allem, was heute Nacht passiert ist, ohne ein Wort?
Er wäre fast für sie gestorben. Und sie hätte fast jemanden getötet für ihn.
Das geht doch nicht!
»Sylvain!«, rief sie laut, und er drehte sich unbeholfen zu ihr um. »Danke.«
Frustriert von ihrer Unfähigkeit, ihre Gefühle auszudrücken oder sich selbst darüber im Klaren zu sein, was sie meinte, hob sie
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