Nightschool. Du darfst keinem trauen
besser früh oder spät hingeht oder eben Wartezeit einplanen muss.«
Sie wandten sich wieder Richtung Treppe. Das Gebäude wirkte nun belebter, überall waren uniformierte Schüler, die sich unterhielten und lachten.
»Den Speisesaal hat dir Isabelle vermutlich schon gezeigt«, sagte Jules. »Den Aufenthaltsraum auch?«
Allie schüttelte den Kopf.
»Das ist der wichtigste Raum in der ganzen Schule«, sagte Jules und führte sie durchs Treppenhaus. »Die meisten Schüler verbringen nach dem Unterricht hier die Zeit, wenn sie nicht gerade Prep machen.«
»Prep?«, fragte Allie.
Jules sah sie an, als könnte sie nicht glauben, dass Allie danach fragen musste.
»Hausaufgaben«, erklärte sie und öffnete eine Tür am Fuß der Treppe.
Sie betraten einen gemütlichen Raum mit Ledersofas. Auf dem Boden lagen Orientteppiche, in der Ecke stand ein Klavier, und es gab Bücherregale, die bis zur Decke reichten und voll mit Büchern und Spielen waren. Bei einigen der Tische waren Schachbretter auf die Platte gemalt. Der Raum war menschenleer, bis auf einen Jungen, der ganz hinten in einem tiefen Sessel saß und sie über den Rand eines uralt aussehenden Buchs hinweg beobachtete. Er hatte glattes, schwarzes Haar, einen festen Mund und riesige, dunkle Augen, die von dichten Wimpern umstanden waren; die Füße hatte er locker auf einen Schachtisch gestützt. Ihre Blicke begegneten sich, und Allie hatte das seltsame Gefühl, dass er wusste, wer sie war. Er lächelte nicht und sagte kein Wort, schaute sie nur unverwandt an. Als sie es nicht mehr aushielt, riss sie ihren Blick los und wandte sich wieder Jules zu, die sie erwartungsvoll ansah.
Sag was.
»Und, äh, es gibt hier … keinen Fernseher? Oder … eine Stereoanlage?« Sie meinte, von der anderen Seite des Raums ein unterdrücktes Glucksen zu hören, doch sie verkniff sich, noch einmal zu dem Jungen hinzuschauen.
Wieder machte Jules dieses verblüffte Gesicht, so als hätte Allie gefragt, was es eigentlich mit dieser golden leuchtenden Kugel am Himmel auf sich hatte.
»Nein, nichts dergleichen.« Jules’ Stimme klang streng. »Keinen Fernseher, keinen iPod, keine Laptops, keine Handys … Eigentlich gar kein einundzwanzigstes Jahrhundert. Das haben dir deine Eltern doch sicher gesagt?«
Bei jedem verbotenen Gerät, das Jules aufzählte, wurde Allies Herz schwerer. Statt einer Antwort schüttelte sie nur stumm den Kopf.
Jules holte tief Luft, um es ihr zu erklären.
»Von uns wird erwartet, dass wir lernen, uns auf traditionelle Weise zu beschäftigen. Zum Beispiel mit Konversation und Lesen. Glaub mir, du wirst hier so mit Hausaufgaben auf Trab gehalten, dass du sowieso keine Zeit zum Fernsehen hast.« Jules wandte sich zum Gehen. »Das steht auch alles in dem Hefter …«
Dieser blöde Hefter. Bis ich den ganzen Mist gelesen habe, ist die halbe Nacht rum, und das alles nur, damit ich genau Bescheid weiß, was für ein bescheuerter Ort das ist.
Ohne sich noch einmal nach dem Jungen im Sessel umzudrehen, folgte sie Jules über den Flur. Im Vorbeigehen strich Jules mit der Hand über eine Tür. »Das ist die Bibliothek – die wirst du bald zur Genüge kennenlernen.«
Sie durchquerten den Hauptflur, Jules drückte eine schwere Tür auf, durch die sie in den Ostflügel des Gebäudes gelangten.
»Hier sind die Klassenzimmer. Du findest dich am einfachsten zurecht, wenn du dir erst mal die Nummern merkst. Hinter jedem deiner Kurse steht eine Raumnummer. Wir merken uns die Klassenzimmer nach Lehrern, aber das wird dir am Anfang nicht viel bringen, weil die Namen nicht an der Tür stehen. Die Räume mit den Nummern eins bis zwanzig sind im Erdgeschoss, hundert bis hundertzwanzig im ersten Stock, und alles darüber hinaus ist für dich tabu.«
Allie warf ihr einen überraschten Blick zu, doch ehe sie nach dem Grund fragen konnte, sagte Jules: »Also, du hast jetzt noch ungefähr zwanzig Minuten bis zum Abendessen, und ich schlage vor, dass du dir in der Zeit noch mal die Unterlagen durchliest. Das ist wirklich wichtig. Sonst stehst du morgen ein bisschen verloren da. Die Bücher kriegst du übrigens im Klassenzimmer von den Lehrern, du brauchst also nur Papier und Stifte mitzubringen. Davon sollte es ausreichend in deinem Schreibtisch geben.«
Sie waren mittlerweile wieder auf der Haupttreppe angelangt und gingen hinauf zum Schlaftrakt. »Ich bin in Zimmer 335, wenn du mich brauchst. Aber falls du dich verläufst, wird dir jeder hier helfen. Okay?«
Sie
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