Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
Sommerferien zu Hause, doch als das neue Schuljahr anfing und wir in die Elfte kamen und mein sozialer Status den Bach hinunterging, tat das auch unsere Freundschaft. Jedenfalls öffentlich. Unter vier Augen versicherte sie mir, mich nach wie vor wie eine Schwester zu lieben. Alle anderen an der Schule behandelten mich wie Luft.
»Natalie mit Nicholas Green.« Lila klopfte auf den Stuhl zwischen ihr und Natalie. Ich setzte mich, machte mich so klein wie möglich und presste meinen Block gegen die Tischkante.
Die anderen Mädchen tuschelten, als sie mich sahen. Eine kicherte. Seit ich in die Schule zurückgekehrt war, war ich zur Außenseiterin mutiert. Die Gerüchte, warum ich am Ende der Zehnten einen ganzen Monat gefehlt hatte, rangierten von Schwangerschaft über Entzug bis zu Selbstmordversuch. Meine Handschuhe lieferten den Brennstoff, mein Gedächtnisverlust war das Streichholz dazu. Als ich im Herbst wieder da war, brannte die Gerüchteküche lichterloh.
Lila fuhr mit ihrer Erklärung fort. »Echo soll irgendeinem Armleuchter Nachhilfe geben, und wir raten herum, wer es sein könnte.«
»Jetzt spann uns nicht auf die Folter, Lila. Wer ist Echos Nachhilfeschüler?« Grace zwinkerte erst Lila und dann ihrer Freundinnenclique am Tisch zu. Zu Beginn der Elften hatte Grace ihre Chance gewittert, sich zur Ober-Cheerleaderin wählen zu lassen. Ich hatte gehofft, dass zwischen uns alles wieder normal würde, sobald sie es geschafft hatte. Leider war dem aber nicht so.
»Frag sie doch selbst.« Lila biss genüsslich in ihren Apfel, während sie Grace herausfordernd in die Augen blickte. Plötzlich war es totenstill am Tisch: Das hübscheste und das beliebteste Mädchen der Schule forderten einander offen heraus. Die ganze Cafeteria schien auf einmal den Atem anzuhalten, und alle lauerten darauf, wie der Showdown ausgehen würde. Ich hätte schwören können, dass so ein losgerissener Steppenstrauch an unserem Tisch vorbeiwirbelte und die Mundharmonika aus
Spiel mir das Lied vom Tod
aus dem Lautsprecher klang.
Ich stupste Lila mit dem Fuß an und flehte sie im Geiste an, die Frage selbst zu beantworten, damit Grace nicht vor aller Augen Notiz von mir nehmen musste. Sekunden verstrichen, ohne dass eine von den beiden den Blick senkte.
Ich hielt es nicht aus. »Ich weiß es ja selbst noch gar nicht. Ich treffe ihn erst heute Nachmittag. Mrs Collins wollte es mir noch nicht sagen, sondern zuerst mit ihm darüber sprechen.«
Die üblichen Cafeteria-Geräusche setzten wieder ein, und Graces Gesichtszüge entspannten sich. Sie holte erleichtert Luft und spähte zu ihrem Anhang von Freundinnen, um sich zu vergewissern, wie die reagierten. »Da rate ich mit«, sagte sie und zwinkerte mir heimlich zu. Zum billionsten Mal wünschte ich mir, mein Leben könnte einfach wieder normal sein.
Als Grace einen Namen ins Rennen warf, fingen die anderen auch an. Ich zeichnete Grace, während alle redeten. Sie hatte sich ihre blonden Haare kurz schneiden lassen, und es stand ihr prima. Ich lauschte dem Namenskarussell und dann dem neuesten Schulklatsch.
»Vielleicht ist es ja Luke Manning«, sagte Lila und rempelte mich demonstrativ mit dem Ellbogen an. »Die Definition ›heißer Typ und nicht der Hellste‹ passt jedenfalls auf ihn.«
Ich rollte mit den Augen und starrte dann stur auf den schwarzen Strich, den Lilas Stoß auf meiner Zeichnung verursacht hatte. Lila klammerte sich nach wie vor an die Hoffnung, dass Luke, mit dem ich in meinem früheren Leben zusammen gewesen war, mich immer noch mochte. Ihr »Beweis« dafür war, dass er mich angeblich auf so eine bestimmte Weise ansah, wenn ich es nicht bemerkte.
»Luke und Deanna haben in den Weihnachtsferien Schluss gemacht. Deanna sagt, sie hat mit ihm Schluss gemacht. Luke sagt, er hat mit ihr Schluss gemacht. Wahrscheinlich bekommen wir die Wahrheit nie heraus«, sagte Grace.
»Wem würdest du glauben, Echo?«, fragte Natalie. Das musste man Natalie lassen: Sie versuchte ständig, mich in die Unterhaltungen einzubinden, egal ob ich wollte oder nicht.
Ich konzentrierte mich darauf, den Schatten, den Graces Haare auf ihr Ohr warfen, zu schraffieren. Ich hatte Luke in der Neunten in Englisch kennengelernt und war eineinhalb Jahre mit ihm gegangen. Das machte mich zur Luke-Expertin in dieser Runde. Inzwischen – das heißt, seit wir Schluss gemacht hatten – gab es praktisch an jedem Mädchentisch eine Luke-Expertin. »Ich habe mit ihm Schluss gemacht, und er hat auch
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