Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
warm.
Vertraut.
Sie kannte diesen Mann erst seit einer halben Stunde, und doch fühlte es sich richtig an, von ihm umarmt zu werden. Absolut und atembera u bend richtig. Sein Haar kitzelte ihre Wange, dufte te nach Schnee und Rauch. Sie wagte kein Wort, keine Bewegung. Still und heimlich begann es wieder zu schneien.
„Ich kenne dich nicht“, sagte Makah. „Aber ich habe das Gefühl, ni e manden je besser gekannt zu haben. Halt e mich für verrückt. Aber so ist es.“
Er umfing ihr Gesicht mit beiden Händen, beugte sich vor und küsste sie.
Allmächtiger! Die Beine gaben unter ihr nach, als besäßen sie plötzlich keine Substanz mehr. Sie wäre zusammengesunken, hätte er sie nicht festgehalten und ihren Körper an seinen gedrückt. Der Geschmack se i ner Lippen war betörend. Eine gewaltige Sehnsucht klaffte auf, als sie den Kuss erwiderte, sich für ihn öffnete und seine feuchte Wärme schmeckte.
Hör nicht auf. Bitte hör nicht auf.
Sie grub ihre Finger in sein Haar. Wollte ihn spüren, ihn an sich bi n den, irgendwie … doch nach viel zu kurzen Momenten wich er zurück. Sie schwankte. Erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen. Niemand hatte sie je so geküsst. Es war atemberaubend gewesen. Vertraut. U n glaublich. Wenn sie sich jetzt aus den Augen verloren, würde sie die Sehnsucht nie mals wieder loswerden.
Tu das noch mal. Halt mich fest. Halt mich einfach nur fest.
„Komm“, sagte Makah leise. „Ich bringe dich zurück.“
Auf dem Weg zum Hotel sprachen sie kein Wort. Sie wusste nicht, was sie fühlte, und wenn Makahs Schweigen bedeutete, dass es ihm genauso ging, machte das die Sache noch seltsamer.
Verlass mich nicht … verlass mich nicht …
„Wir sehen uns wieder“, sagte er an ihrem Ziel. „Ich weiß es.“
Saras Kehle zog sich zusammen. Verzweifelt schlug sie die Wagentür zu, klemmte sich die Tasche unter den Arm und rannte in Richtung Hotel. Tränen rannen über ihre Wangen. Nein, es war nur Schnee, der auf ihrem Gesicht schmolz. Sie ließ einen Fremden gehen, und doch fühlte es sich an, als würde sie ein Teil ihres Lebens verlieren .
Oben im Zimmer schälte sie sich aus der Kleidung, zog ein weißes Nachthemd über und ließ sich auf das Bett fallen. Die Stille schien zu schreien. Sie fühlte sich, als würde sie träumen und wäre nicht fähig, aufzuwachen. Immer wieder sah sie dieselben Bilder, wenn sie die Augen schloss. Quanah, wie er auf seinem schwarzen Pferd thronte . Makah im Winterlicht. Die traurig in die Kamera blickende Naduah. Alte Schreib utensilien hinter Glas, deren Anblick ihr Herz mit sonderbarer Liebe flutete. Und wieder Makah. Der Schnee in seinem Haar. Sein L ä cheln.
Er fuhr allein die weite Strecke in seinem uralten Pick- up . Auf sie wa r tete morgen der Flieger, der sie zurück in den Alltag bringen würde.
Verdammt, verdammt, verdammt!
Frustriert fingerte sie nach de r Kamera . Als sie sie einschaltete und auf die Bilderansicht wechselte, krempelte Sehnsucht ihre Eingeweide z u sammen. Makah im zeitlosen Licht der frostigen Prärie. Seine Gestalt vor den verschneiten Hügeln. Melancholisch. Wunderschön. Wehmütig.
Das hier machte keinen Sinn, alles wurde nur schlimmer. Schlimm auf eine unerklärliche, tiefschürfende, grausame Art. Sie legte den Apparat beiseite und zog das Buch aus d er Tasche. Lesen ve r schafft e Ablenkung. Oder auch nicht. Aus einem unerfindlichen Grund verwirrte sie das Bild des Mädchens am Fluss nur noch mehr. Was in aller Welt war los mit ihr? Zu viele Kopfschmerztabletten? Zu wenig Schlaf? Draußen heulte der Schneesturm, doch ihr wurde warm. Fast meinte sie, den Duft des Sommers wahrzunehmen. Wind säuselte, Schilf raschelte. Leises Wa s serplätschern tropfte durch eine staubtrockene Stille. Da war das Bellen eines Hundes. Ihre Sinne trübten sich, und noch ehe das Buch auf ihre Brust hinuntergesackt war, schlief sie ein.
Cynthia, 1836
Fort Parker am Navasota River/Texas
A
ls der Tag sich dem Ende zuneigte, war alles friedvoll und erfüllt von sommerflüsternder Stille. Cynthia saß am Ufer des Flusses, vertieft in Träumereien, und plä t scherte mit den Füßen im Wasser. Mückenschwärme tanzten über dem Schilf, gejagt von Schwalben, die aus dem tiefblauen, von Schäfchenwo l ken gesprenkelten Himmel herabschossen, um Beute zu machen. So m merwind zerzauste ihr langes Haar, das sie nur offen tragen durfte, weil sie noch ein Kind war, und er r a schelte so seltsam in den Wipfeln der
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