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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Vorwort von Hanjo Kesting
    Undines Bruder
    Die Wasserwelten des Siegfried Lenz
     
    Von früh auf fühlte er sich vom Wasser angezogen, von früh auf war er mit dem Wasser vertraut. Den Lyck-See in Masuren befuhr er als Junge mit dem Boot und dem Binsenfloß, dort lernte er, bevor er lesen lernte, das Schwimmen, Tauchen und Fischen, dort genoß er die Schönheit der Fische, die Verheißungen des Horizonts, die Märchenwelt reglos gespiegelter Kindheit. Dem See bot er seine zarte Freundschaft an, die auch nicht erschüttert wurde, als er an einem Märzmorgen durch das mürbe Eis brach und nur mit Mühe gerettet wurde. Das Unglück nahm er als eine Vertraulichkeit, es befestigte nur sein Verhältnis zum See und zum Wasser.
    Früh war bei Siegfried Lenz die Ahnung da, daß er sich auf dem Wasser würde bestätigen müssen: »Ich sah mich als Boot, durchschnitt mit meinem Bug die Wellen, und die einzige Spur, die ich zurückließ, war die schaumige, sacht sterbende Linie des Kielwassers.« So steht es in dem einzigen autobiographischen Text, den wir von Lenz kennen und der mit »Ich zum Beispiel« überschrieben ist. Weiter heißt es da: »In trüber Voraussicht erkannte ich, daß ich meine Höchstleistung auf dem Wasser vollbringen würde.« Noch mit achtzehn, als er sichzur Marine meldete, hielt er sich für einen Favoriten des Wassers, des Meeres, für einen »ausgemachten Günstling der einflußreichen Wassergeister«.
    War es nur ein Kindheits- und Jugendtraum? Auch als Schriftsteller ist Siegfried Lenz vom Wasser nicht losgekommen. Das Wasser ist in seinen Romanen und Erzählungen allgegenwärtig, in allen Erscheinungsformen durchzieht es sein Werk: als Meer, als Fluß, als See, als Hafen. Ebbe und Flut bestimmen seinen Rhythmus, Inseln, Küsten, Fjorde, große und kleine Schiffe bilden seine Schauplätze. Sein Personal besteht zu großen Teilen aus Menschen, die am Wasser und vom Wasser leben: Fischer, Angler, Taucher, Matrosen, Hafenarbeiter, Schauerleute. Wenn der Autor der Erzählung »Der Mensch auf dem Meeresboden« einmal verwundert konstatiert, daß sich die meisten Menschen mit dem knappen Drittel Festland auf unserer Erde begnügen, dann gilt diese Feststellung zweifellos nicht für ihn selbst. Siegfried Lenz fühlt sich unwiderstehlich von der weitaus größeren Wasserfläche angezogen, die den Globus bedeckt. Seine Bücher sind ohne das Wasser nicht denkbar. Und wie alle Wasserläufe der Welt zuletzt ins Meer einmünden, so führt auch der Strom von Siegfried Lenz’ Erzählen am Ende unfehlbar zum Wasser, als folge es einem verborgenen Gesetz.
    Als ich ihn kennenlernte, vor nunmehr fünfunddreißig Jahren, um ein erstes Gespräch für den Rundfunk mit ihm aufzunehmen, fielen mir zunächst seine Augen auf, Augen von einer tiefen, ungewöhnlichen Bläue, die ihr Gegenüber – so kam es mir vor – nicht fest fixierten undklar ins Auge faßten, sondern in denen etwas Weiches, Verschwimmendes, Flutendes war, fast möchte ich sagen, etwas von der Farbe und der Bewegung des Meeres. Unwillkürlich fiel mir beim Blick in diese Augen die Beschreibung ein, die Sophia Hawthorne, die Frau des berühmten Schriftstellers, von Melville gegeben hat, nachdem dieser zu einem nachbarschaftlichen Besuch nach Lenox gekommen war. Sie rühmt das Wahrnehmungsvermögen seiner nicht sehr großen Augen und fährt dann fort: »Manchmal weicht seine Lebhaftigkeit einem außergewöhnlich stillen Ausdruck in diesen Augen, ein zurückgenommener, verschwommener Blick, der dir gleichzeitig das Gefühl gibt, daß er in diesem Augenblick auf das genaueste wahrnimmt, was vor ihm ist. Es ist ein merkwürdiger, träger Blick, von dem aber eine ganz einmalige Kraft ausgeht. Er scheint dich nicht zu durchdringen, sondern dich in sich aufzunehmen.«
    Bei jeder späteren Begegnung mit Siegfried Lenz hat sich dieser Eindruck erneuert, sogar noch über die Bilder des Fernsehschirmes, als bei der Feier seines achtzigsten Geburtstags die Kameras für einige Sekunden auf seinem Gesicht verweilten. Die Vermutung war nicht abzuweisen, dieser Schriftsteller besitze eine besondere Beziehung zum feuchten Element. Tatsächlich ist er, wie vor ihm Melville, aber auch Conrad und Hemingway, ein Schriftsteller des Wassers und des Meeres. Es sind aber nicht die fernen Gewässer der Südsee oder der Karibik, zu denen er sich hinträumt, sondern die heimatlichen Gewässer, die er aus eigener Erfahrung kennt: Nordsee und Ostsee,das Wattenmeer, die nord- und

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