Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
war absurd. Bassar runzelte die Stirn. »Sie sprechen von Zauberern ?«
»Sie sind keine Zauberer. Sie sind gefährliche Terroristen und - eine Bedrohung für das Reich.«
Was sollte er davon halten? Die Schauermärchen der alten Bettelweiber auf den Marktplätzen trugen also Schuld am Brand bei Buchhandel Spiegelgold! Einen Moment beäugte Bassar das Mädchen eingehend und fragte sich, ob es vielleicht auch wie der Vater … Aber nein. Sie war ein Kind. Kinder konnten eine unglaubliche Fantasie entwickeln, wenn es darum ging, die Ehre ihrer Eltern zu wahren. Ob es bei Alois Spiegelgold noch eine Ehre zu wahren gab, darüber ließ sich natürlich streiten.
Und zwar ein anderes Mal. Bassar beschloss, den Besuch
zu beenden, bevor ihm noch mehr Verrücktheiten aufgetischt wurden. »Fräulein Spiegelgold, ich denke, das reicht vorerst.« Er nahm seine Melone vom Sofa und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich danke Ihnen für den herzlichen Empfang. Sie werden von mir hören.«
Das Mädchen sah ihn nicht an. Ihr Gesicht war versteinert, und die Hand, die sie ihm zum Abschied reichte, fühlte sich schlaff an.
»Herr Spiegelgold.« Er beschränkte sich darauf, dem Vater nur zuzunicken, da er das imaginäre Wesen auf seiner Schulter eingehend kraulte. Das Mädchen blickte noch immer zu Boden. Aber Bassar glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen. Er räusperte sich nochmals und setzte den Hut auf. »Kopf hoch. Alles wird wieder gut. Die Polizei ist Ihr Freund.« Das war mit Abstand das Dümmste, was er seit Langem gesagt hatte. Dasselbe schien das Mädchen zu denken.
»Wenn Sie mich entschuldigen - ich finde schon alleine hinaus.« Bassar schritt auf die Tür zu, als das Mädchen ihn noch einmal zurückhielt.
»Herr Inspektor.« Sie hatte sich ihm zugedreht und schob trotzig das Kinn vor. »Ich beschäftige mich seit mehr als vier Jahren mit Parapsychologie und übernatürlichen Phänomenen, die kontinuierlich und in jeder Kultur auftreten. Unter anderem habe ich einen Artikel in einer renommierten Zeitschrift für Wissenschaft und Technik über dieses Thema publiziert, Sie können ihn gerne lesen, mein Pseudonym lautet Albert Aurelius A. Fatassou. Ich darf behaupten, dass meine Kenntnisse über Möglichkeiten und Ausmaß übersinnlicher Phänomene sowie über jene, die paranormale Fähigkeiten besitzen, die der meisten Menschen übersteigen. Unterschätzen Sie also nicht mein Urteilsvermögen. Es gibt Motten. Und ich werde sie finden und auf Gerechtigkeit bestehen, so wahr ich Apolonia Spiegelgold heiße.«
Bassar schwieg verdutzt. Diese Wirkung hatte Apolonias Sprachgewandtheit üblicherweise.
»Gewiss«, murmelte Bassar, deutete ein Kopfnicken an und zog leise die Tür hinter sich zu. Dann eilte er die Wendeltreppe hinab, durch das Foyer und ließ sich von einem Dienstmädchen die Haustür öffnen. Als er auf der Straße stand, umgeben von stuckverzierten Hausfassaden und Ahornbäumen, atmete er tief und erleichtert aus.
Es war ein sonniger, warmer Herbsttag, und Inspektor Cornelius Bassar entschied sich, auf dem Weg zum Polizeipräsidium einen Spaziergang durch den Park zu machen. Er war nicht in Eile.
Als er die Kieswege entlangschritt und die zarten Schatten der Bäume über ihn hinwegschwebten, war ihm schon viel leichter ums Herz. Kinder tollten umher und ließen Drachen steigen, Hunde hetzten Stöcken hinterher und Picknickdecken betupften die Wiesen mit bunten Flecken. Hinter Sonnenschirmen wurden verstohlene Küsse getauscht und sehnliche Worte gemurmelt. Bassar verlangsamte seinen sonst so raschen Schritt und atmete den Duft der welken Blätter ein. Manchmal vergaß er, wie schön das Leben doch war!
Diesem Gedanken folgten automatisch seine Arbeitssorgen. Bassar steckte die Hände in die Manteltaschen. Hier im Park mochte die Welt vollkommen friedlich erscheinen, doch er wusste, dass es in Wirklichkeit nicht so war. Wie ein Schiff hatte die Stadt Risse im Bauch: Von überall sickerte das Verbrechen herein und überschwemmte die Unterwelt. Bassar rannte von einer undichten Stelle zur nächsten und verhinderte, dass alles im Chaos versank. Doch ein ganz besonderes Loch, durch das schon seit Jahren stinkendes Abwasser quoll, war einfach unauffindbar … Eck Jargo , natürlich. Das Wirtshaus
Eck Jargo . Königreich der Diebe, Palast der Verbrecher, Welt der Schatten. Und noch eine Menge mehr, was nicht von den Räubern besungen wurde.
Es hieß, der große Bandit Paolo Jargo habe sich dort vor mehr
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