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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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I'm hanging on your words
living on your breath
feeling with your skin
will I always be here?
(Depeche Mode: In your room)
    Kapitel 1
    Was immer Mirella sich dabei gedacht hatte, mich mit Ernesto Sanchez bekanntzumachen – auf meinen Tod hatte sie sicher nicht spekuliert. Oder doch?
    Beginnen wir von vorn. Ein Sonntag im April, Hagelschauer und aufblühende Narzissen, erste Mückenstiche wie die Ankündigung wilden neuen Lebens. Ich hatte mich in meine Wohnung zurückgezogen und das Telefon ausgesteckt. Gelegentlich brauche ich den Rückzug von der Welt. Von Lärm, Großstadttrubel, Menschenmengen und dem ganzen alltäglichen Wahnsinn. Ich bin ein Hochsensibler, auch HSP genannt. HSP steht für »hochsensible Person.« Diese Gabe ist mein Fluch. Und mein Segen. Denn genau damit verdiente ich früher mein Geld. Und genau deshalb klopfte auch Mirella am späten Nachmittag an meine Tür.
    »Du solltest umziehen«, sagte sie so ungerührt, als wären nicht Jahre seit unserer letzten Begegnung vergangen, und drängte sich ohne Umschweife an mir vorbei in die Wohnung.
    Ich verzog die Mundwinkel. »Fühl dich wie zuhause. Du kennst dich ja hier aus.«
    »Berliner Altbauten. Es ist niemandem zuzumuten, in den vierten Stock zu steigen, nur um dich zu treffen. Dein Telefon funktioniert nicht. Und dein Handy ist aus.«
    »Weil ich es eventuell genau darauf angelegt habe«, antwortete ich spitz und schloss sorgfältig die Tür. »Vielleicht will ich ja niemanden hören oder sehen?«
    Mirella ließ sich auf meine Couch fallen, schlug die langen Beine übereinander und lächelte süffisant. »Tatsächlich? Immer noch der alte Langweiler? Na, dann hätte ich mir den Aufwand ja sparen können.«
    Sie sah noch immer hinreißend aus mit ihren langen, dunkelbraunen Locken, den funkelnden, grauen Augen und dem Talent, sich in eine umwerfende Aura zu kleiden. Sie wusste, dass ich den Blick nicht von ihr abwenden konnte, sobald sie es darauf anlegte. Es war ein Spiel. Wir hatten beide gespielt, seit wir uns im Programm des Paranormal Arts Institute kennengelernt hatten. 15 Jahre war das her. Und seitdem war kein Tag vergangen, an dem ich nicht an Mirella gedacht hatte. Auch wenn schon lange klar war, dass wir als Paar eine Katastrophe waren. Das Spiel hatte ein unrühmliches Ende gefunden. Eine Scheidung lässt sich nicht wegdiskutieren. Und doch spukte sie noch immer in meinen Gedanken herum. Sie war überall. Im samtigen Nachtblau und in den Schatten der Nachmittage am See, im flirrenden Staub der Straßen, im Trubel der Kreuzberger Kneipen und in den Küssen jeder Frau, die ich in meine Arme schloss. Mirella konnte Illusionen herauf beschwören, aus denen sich niemand mehr lösen wollte, und blieb selbst unbeteiligt.
    Das war ihre Gabe.
    Sie legte den Kopf schräg und musterte mich. »Lange nicht gesehen, Jakob. Alles in Ordnung? Du siehst müde aus.«
    Ich zog einen Stuhl heran und ließ mich darauf fallen. »Mirella, ehrlich, mir ist nicht nach Plaudereien. Was zur Hölle willst du hier?«
    Sie schenkte mir einen tiefen Blick. »Begrüßt man so eine alte Freundin?« Dann seufzte sie, griff nach ihrer Tasche und zog einen Stapel Papier hervor. »Hier«, sagte sie und drückte mir die Dokumente in die Hand. »Brenner meinte, du sollst dir das mal ansehen.«
    Ich ließ das Papier fallen, als hätte es mit scharfen Zähnen nach mir geschnappt. »Interessiert mich nicht.«
    Rasch stand ich auf, ging zum Fenster und schob vorsichtig den Vorhang zur Seite. Mein Blick wanderte nach unten, die Straße entlang. Dicht gedrängt parkten Autos, hier und da eilten Fußgänger mit gesenkten Köpfen durch den Regen. Doch nirgends die dunklen Wagen der Akademie, die sich durch ihre auffällige Unauffälligkeit auszeichneten. Zumindest für Eingeweihte. Und keine verdächtig aussehenden Personen. Doch das musste nichts heißen.
    »Lass mich raten. Scharfschützen auf den umliegenden Dächern?« Der bissige Unterton in meiner Stimme blieb Mirella nicht verborgen.
    »Keine Sorge, ich bin allein. Und du musst nicht mitkommen, wenn du das nicht möchtest«, sagte sie leise.
    Ich wandte ihr den Blick zu und fiel für Bruchteile einer Sekunde in nebelgraue Augen. Ich straffte mich. »Als ich das letzte Mal in die Akademie wollte, wurde ich fast verprügelt. Ich war es nicht, der die Sache unrühmlich beendet hat. Und jetzt hat Brenner dich geschickt? Damit ich was genau tue?«
    Sie lächelte und deutete mit einem leichten Nicken des Kopfes auf die

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