Noelles Demut
Freunde suchte sie vergebens. Die Betroffenen mussten selbst zu der Überzeugung kommen, dass sie Hilfe brauchten.
„So ein Schwachsinn!“, schimpfte sie. „Noelle kann sich nicht selbst helfen. Dafür liebt sie den Scheißkerl zu doll.“
Ohne es zu merken, gab sie Lustschmerz als Suchbegriff ein. Was sie las, verschlug ihr die Sprache. Gab es wirklich Frauen, die auf so etwas standen? Und wenn das wahr war, dann hatte Noelle mehr Probleme, als es ihr bewusst war. Was konnte einen Menschen dazu bewegen, Schmerz als schön zu empfinden? Noelle musste durch Tom ein völlig entstelltes Selbstempfinden bekommen haben. Sie war abgestumpft! Ja, das musste es sein. Die Noelle von früher hätte sich nicht schlagen lassen. Sie hätte sich nicht eingeredet, dass es schön ist, nur um einen Typen wie Simon nicht zu verlieren.
Gegen dreiundzwanzig Uhr fuhr Lydia zum Restaurant. Sie wollte nicht riskieren, dass Simon Noelle abfing und verschleppte. Schnurstracks ging sie durch den Hintereingang in die Küche. Als sie Noelle nicht sehen konnte, brach sie in Panik aus.
„Wo ist sie?“, herrschte sie Frédéric an.
„Was machst du in meiner Küche? Raus hier!“
„Ich suche Noelle. Bitte, ich muss sie finden.“
„Noelle ist bei den Gästen. Was ist denn passiert?“
„Dieser Simon schlägt sie.“
„Lydia!“ Noelle stand in der Tür zur Küche und funkelte sie wütend an.
„Er tut was?“, begehrte Frédéric auf.
„Das ist nicht wahr, und wenn du mir auch nur ein bisschen Vertrauen entgegenbringen würdest, hättest du erst mit mir gesprochen, bevor du solche Gerüchte in die Welt setzt.“
„Es ist kein Gerücht. Er ist auch noch stolz darauf.“
Noelle schnappte nach Luft. „Hast du etwa mit ihm gesprochen?“
„Ich habe es versucht, aber der Typ ist unbelehrbar. Komm mit mir heim, Noelle, bitte. Ich will dich nicht wieder verlieren.“
Noelle warf ihre Schürze in den Wäschesack, schnappte ihre Tasche und zog Lydia aus der Küche. Simon stieg gerade aus dem Wagen.
„Verschwinde!“, schrie Lydia ihm entgegen.
„Jetzt reicht es, Lydia. Dass du mir mitten in der Küche eine Szene machst und mir den Feierabend versaust, ist genug für heute. Beruhige dich!“
„Ich …“
Noelle schnitt ihr das Wort ab. „Ich fahre mit dir nach Hause. Und jetzt lass mich in Ruhe.“
Noelle sank in Simons Arme. „Es tut mir leid. Ich kläre das mit ihr.“
„Sie ist besorgt um dich. Das macht eine gute Freundin aus.“
„Vertrauen macht eine Freundin aus.“
„Du kannst ihr nicht verdenken, dass sie misstrauisch ist. Rede mit ihr. Wir sehen uns morgen.“
„Ich rufe dich an.“
Unter Lydias bohrendem Blick stieg Simon in den Wagen und fuhr los.
„Bist du jetzt zufrieden? Du hast mir eine wundervolle Nacht versaut.“ Wütend stapfte Noelle auf sie zu. „Na los, ich will das hinter mich bringen.“
Lydia setzte sich ins Auto und starrte Noelle entgeistert an. „Warum bist du so wütend? Ich habe dich ein Mal im Stich gelassen. Noch mal mache ich das nicht.“
„Du musst mich nicht beschützen, Lydia. Und wie ich Fred begreiflich machen soll, dass alles in Ordnung ist, weiß ich noch nicht. Ganz zu schweigen davon, dass die halbe Crew zugesehen hat, wie mich meine beste Freundin in Grund und Boden stampft. Fahr endlich!“
Hinter den Scheiben zur Küche waren Schatten zu sehen. Das Noelles Kollegen sie beobachteten, war Lydia allerdings auch unangenehm.
Während der Fahrt zur Wohnung sprachen sie nicht. Noelle versuchte krampfhaft, ihre Wut in den Griff zu bekommen, während Lydia mit Sicherheit damit beschäftigt war, sich Argumente zurechtzulegen. Im Flur funkelten sie sich wütend an. Keine von beiden wollte nachgeben.
„Willst du ein Glas Wein?“, fragte Noelle, um eine entspannte Atmosphäre bemüht.
„Nein“, antwortete Lydia patzig und ließ sich aufs Sofa plumpsen. „Ich will wissen, was du dir dabei denkst.“
Noelle goss sich ein Glas Wein ein und setzte sich in einen der Sessel gegenüber von Lydia. Lange sah sie ihre Freundin an, bevor sie sprach. „Das hat nichts mit Denken zu tun, nur mit Fühlen. Nein, bitte lass mich ausreden. Du willst wissen, warum. Gib mir die Möglichkeit, es zu erklären.“
Lydia lehnte sich zurück und nickte.
„Ich habe schon als Teenager Fantasien gehabt, in denen ich gefesselt war und gezüchtigt wurde. Jahrelang habe ich mich dafür geschämt, aber es fehlte mir. Die Träume wurden immer drängender und ausschweifender. Als ich Tom
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