Noelles Demut
sind?“
„Würden Sie mir diese Frage stellen, wenn Sie nicht mit Simon Baker befreundet wären?“
Lucian sah Noelle lächelnd von oben bis unten an.
„Nein, vermutlich nicht. Sie haben recht. Ich lasse mich von persönlichen Gefühlen leiten. Ich kann Ihnen versichern, dass das normalerweise nicht meine Art ist.“ Lucian stand auf, holte einige Papiere aus einem Aktenschrank und legte sie vor Noelle. „Das ist ein Standardarbeitsvertrag! Lesen Sie ihn sich in Ruhe durch. Ich zahle überdurchschnittlich gut, die Arbeitszeiten sind Branchen üblich und ich gewähre meinen Mittarbeitern fünfundzwanzig Tage Urlaub. Wenn Sie mit den Konditionen einverstanden sind, wovon ich ausgehe, bringen Sie den Vertrag am Freitag unterschrieben zu Ihrer Schicht mit. Willkommen im Team, Mrs. Wingham.“
Mr. Greens Wechsel zum knallharten Geschäftsmann war erstaunlich. Kalte Berechnung und ein eiserner Wille zeichnete sich um seine Mundwinkel ab. Nur in seinen Augen stand noch immer die Wärme und freundschaftliche Sorge von vor wenigen Sekunden.
Noelle stand auf und reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, Mr. Green. Ich werde Sie nicht enttäuschen.“
„Dessen bin ich mir sicher. Wer es an Frédérics Seite aushält, ist allem gewachsen.“
Noelle konnte und wollte das Lachen nicht zurückhalten. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Natürlich war ihr klar, dass dieses Vorstellungsgespräch ohne ihre Verbindung zu Simon anders verlaufen wäre, aber das war ihr im Moment völlig egal. Jetzt konnte sie in die Zukunft sehen. Endlich stand sie wieder auf eigenen Füßen. In ein, zwei Monaten würde sie sich eine Wohnung leisten können. Sie fühlte sich beschwingt und glücklich.
Frédéric passte sie an der Bürotür ab.
„Und, wie sieht’s aus?“
„Du wirst dich benehmen, Frédéric. Ich will deine Löffel nicht in meinen Töpfen, und du wirst nicht an mir rumnörgeln.“
„Das habe ich nie getan, Kindchen. Du bist die beste Schülerin, die ich je hatte.“
„Ich bin einunddreißig und keine Schülerin mehr.“
„Das habe ich verstanden, Kindchen. Komm mal mit.“ Frédéric zog sie mit sich in einen Lagerraum.
„Was ist mit dir passiert? Du siehst furchtbar aus, bist viel zu dürr. Und was hast du mit deinen Haaren gemacht? Das ist doch keine Frisur für eine Frau. Seit wann vernachlässigst du dich so?“
Noelle konnte ihm nicht böse sein. Bevor er sie weggeekelt hatte, war er immer väterlich mit ihr umgegangen. Seine Sorge sprach für ihn, und sie wollte ihn nicht belügen. „Ich habe falsche Entscheidungen getroffen, die mir zum Verhängnis wurden. Die letzten Jahre waren nicht einfach für mich. Umso glücklicher bin ich, dich an meiner Seite zu haben, Fred.“
„Nenn mich nicht so. Du weißt, ich hasse das.“ Frédéric nahm sie in die Arme. „Ich bin für dich da, Noelle. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Sorgen hast.“
„Danke! Ab Freitag hast du mich am Hals. Ich freue mich schon.“
„Ich mich auch, Kleines. Und sieh zu, dass du was auf die Rippen kriegst. So dürr wirst du nicht viel Spaß im Leben haben.“
Noelle lachte. „Mach dir um meinen Spaß keinen Kopf. Ich komme schon klar.“ Sie strahlte ihn an, und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sich ihr Leben in Marseille und ihre Gegenwart miteinander mischten, als hätten die vergangenen zwei Jahre nie existiert. Sie genoss dieses Gefühl, wusste sie doch, dass es ein Luxus war, der nicht lange anhalten würde.
„Ich habe den Job“, flötete sie in den Hörer.
„Das ist klasse, Schatz.“
„Und du glaubst nicht, wer Küchenchef ist?“
„Du kennst ihn?“
„Aber ja. Es ist Frédéric aus Marseille.“
„Der, wegen dem du gegangen bist? Wieso freust du dich darüber?“
„Das erzähle ich dir, wenn wir uns sehen. Wann hast du Zeit für mich?“
„Für dich habe ich immer Zeit, Nell“, erklang hinter ihr eine belustigte, sonore Stimme.
Noelle schrie auf. Fast hätte sie ihr Handy fallen lassen. Zitternd drehte sie sich um. Sie schaffte es kaum, zu atmen.
„Du großer, tapsiger Teddy. Bist du verrückt geworden? Mir ist fast das Herz stehen geblieben.“
„Groß ist in Ordnung, Teddy kann ich gerade noch gelten lassen, aber tapsig ist wirklich zu viel des Guten.“ Simon legte seine große, warme Hand in ihren Nacken und zog sie zu sich. „Dafür verlange ich eine Entschädigung.“
Und dann küsste er sie ungestüm. Noelle schlang ihre Arme um seinen Nacken und konnte nicht glauben, dass es
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