Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
telefonisch ausfindig machte, um sie zum Thema zu befragen. Sullivan ist nicht nur Tiertrainerin und Autorin, sie ist auch leidenschaftliche Nörgelforscherin – davon später mehr. »Eine Katze streicht Ihnen immer wieder um die Beine; ein Hund winselt und japst und springt so lange, bis er bekommt, was er will. Der ausschlaggebende Unterschied ist: Tiere leben nur im Moment, also nörgeln sie auch nur über aktuelle Anliegen. Haben sie gerade Hunger, nörgeln sie nach Essen. Menschen dagegen denken vorausschauend. Einer Ehefrau könnte beim morgendlichen Kaffeeschlürfen einfallen, dass es nett wäre, wenn ihr Mann das nächste Mal nichts daneben kippt, wenn er den Müll rausbringt. Dann kommt er ahnungslos in die Küche und kriegt mir nichts, dir nichts was zu hören.«
Doch ob Tiere nicht doch abstrakt nörgeln können, ist eine andere Frage.
Ich lebe mit einer Katze zusammen, die sehr genau weiß, was sie will. Eines Tages wollte sie gerade zu ihrem täglichen Streifzug nach draußen aufbrechen, als sie feststellen musste, dass es regnete. Sie streckte eine Pfote in den Garten, die wurde nass und sie zog sie wieder herein. Sie setzte sich auf die Türschwelle. Der Regen ließ nicht nach. Ihr Fell zuckte, ihr Schwanz peitschte. Endlich gab sie auf und kam wieder in die Wohnung herein. Ihre Augen waren nur noch Schlitze, ihr Kiefer hing leicht herunter.
Nun war es so, dass sie vor einigen Monaten Mutter geworden war, und ihre Kätzchen waren für jede Aufmerksamkeit dankbar, die sie von ihr bekamen. An diesem Tag beobachteten sie alles genau, was die Mami tat, und machten sich womöglich Hoffnungen, sie würde jetzt, wo sie nicht raus konnte, mit ihnen spielen. Als Mama auf sie zukam, blickten sie ihr erwartungsvoll mit großen Augen entgegen. Doch ihre Mutter ging, ohne den Nachwuchs auch nur eines Blickes zu würdigen, schnurstracks an ihnen vorbei. Als sie fast schon aus dem Blickfeld war, versetzte sie jedem der beiden wie nebenbei schnell noch eine saftige Ohrfeige: Zack! Zack! Dann schlenderte sie weiter ins nächste Zimmer, ließ sich auf ein Kissen fallen und starrte an die Wand.
Selbst Gott nörgelt gern. Oder was soll man sonst von den Zehn Geboten halten? »Du sollst dies nicht, du sollst das nicht«. Oh Mann, immer nur negativ, immer nur Verbote, darf ich denn gar keinen Spaß haben? Weiß Gott denn nicht, wie das bremst? Wie wäre es mal mit der Kraft des positiven Denkens? Das ist doch kein Leben.
Und was soll das mit dem »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben«? Stellen Sie sich mal vor, Ihr neuer Freund würde Ihnen kaum, dass sie sich kennengelernt haben, mit so was kommen. Da würden Sie ihm doch eine Standpauke über krankhafte Selbstüberschätzung halten, dass ihm Hören und Sehen vergeht.
Nicht nur Menschen und Tiere, auch Dinge können nörgeln. Als überzeugter Cowboystiefelträger kann ich Ihnen das aus eigener Erfahrung versichern. Eine Socke, die sich in einem Stiefel allmählich und zielstrebig im Laufe eines Abends Richtung Zehen gearbeitet hat, nörgelt mit jedem Schritt ihr Herrchen an, er möge doch bitte den Stiefel aus- und die Socke hochziehen. Und sie hört den ganze Abend nicht auf zu nerven, obwohl sie ganz genau weiß, ihr Herrchen steht gerade in einem großen Raum, mitten unter Leuten, die gutes Geld bezahlt haben, ihn aus seinem Buch lesen zu hören, und er kann den Stiefel nicht ausziehen.
Nörgeln funktioniert sogar ohne Worte.
»Bei uns in der Beziehung ist es ein bisschen anders als bei den meisten Paaren«, gestand mir die Journalistin Wiebke M., als wir uns im Restaurant Seidls zu einem Bierchen und einem zwanglosen Gespräch über das Nörgeln trafen – ein Thema, das uns beide brennend interessiert. »Jürgen ist derjenige, der zu Hause Ordnung braucht. Mir ist die Seele wichtiger als Ordnung. In unserer Beziehung war das lange ein Problem. Er hat mich immer wieder angemäkelt, ich solle aufräumen. Mit der Zeit haben wir uns beide ein wenig angenähert. Ich tue mein Bestes, und er wirft mir keine Schlampigkeit mehr vor.«
»Ich erziehe sie nicht mehr«, warf Jürgen stolz ein. »Ich habe mich damit abgefunden, ich sage kein Wort mehr, es stört mich auch nicht.«
»Nun ist es so, dass Jürgen früher aufsteht als ich«, fuhr Wiebke fort, »und er macht Kaffee und ist so lieb, dass er mir den dann ans Bett bringt. Am Bett habe ich einen kleinen weißen Nachttisch. Da liegen meine Uhr, meine Brille und ein Buch drauf. Und hin und wieder
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