Nr. 13: Thriller (German Edition)
insgeheim eine unangekündigte Klassenarbeit erwarteten. Einer hatte gepfiffen, doch Hannas Ignoranz darüber war wirksamer als ein böser Blick oder ein genervtes Kopfschütteln. Sie wusste, was sie hervorrief, und stand den Konsequenzen sanftmütig gegenüber. Sie wusste auch, dass sie der weitverbreiteten männlichen Annahme, Frauen mit figurbetonten Kleidern würden es doch nur auf Pfiffe und Anzüglichkeiten anlegen, ausschließlich Gleichgültigkeit entgegen bringen konnte. Sie hatte diese Dinge seit jeher für sich alleine getan. Das schmeichelnde Gefühl von Nylon an den Beinen war so viel schöner als begehrliche Blicke.
Doch wie sie jetzt das Frikadellenbrötchen bezwang, passte wirklich nicht zum Rest ihrer Erscheinung. Rasch wischte sie sich mit der Serviette die Mundwinkel sauber und zwang sich, langsamer zu kauen. Das wäre ihr sicher nicht passiert, wenn sie Hader begleitet hätten und nun bei Orangensaft und Butterbrezeln in dem Café sitzen würden, in dem man mitten in Mannheim so nah an Frankreich war, wie nirgends sonst in dieser ungeliebten Stadt. Tom Krohne nagte vorsichtig an einem Käsebrötchen und sah sie fragend an. Die Unsicherheit des neuen Kollegen hatte sich auch in den sieben Monaten, die sie jetzt an einer Seite arbeiteten, nicht gelegt. Sie fragte sich manchmal, was für einen Eindruck sie auf den Mann machen mochte, mit dem sie sich das Gleichgewicht dessen, was Kollegen üblicherweise voneinander wissen, ziemlich ungerecht teilte. Was dachte Krohne von einer Hauptkommissarin und alleinerziehenden Mutter, die so gut wie gar nichts über sich selbst erzählte, ihren (gestrigen) Geburtstag verschwieg und meistens auf eine einschüchternde Art und Weise wortkarg war. Es war nicht böse gemeint, sie wusste nur einfach nicht, was sie auf Krohnes permanent staunende Hilflosigkeit in ihrer Gegenwart erwidern sollte. Der Mann war nur unwesentlich jünger als sie und wirkte gleichzeitig wie ein Jugendlicher, der nicht wusste, was er tun musste, um irgendwo dazuzugehören. Am Anfang hatte sie geglaubt, dass die durchkomponierte Schäbigkeit seines Äußeren reine Verkleidung war. Herrgott, der Kerl trug Shirts von Bob Marley! Mittlerweile wusste sie es besser. Der jamaikanische Reggae-Star nahm bei Krohne die Rolle ein, die bei anderen Menschen Jesus vorbehalten war.
»Mein Magen braucht Arbeit!«, klärte sie ihn auf. »Sonst wird er dem Schrecken nicht Herr. Ich muss ihn zuschütten, damit er Ruhe gibt, verstehst Du?«
»Zuschütten«, echote er. »Das funktioniert auch prima mit Kieselsteinen.«
»Dein Brötchen hat auch nicht mehr Nährstoffe als Löschpapier.«
«Wenigstens setzt es keine Verwesungsprozesse in meinem Körper frei.«
»Tom, auch wenn es nicht so aussieht – mein Leben ist keine asiatische Gemüsepfanne mit frischem Koriander, wie bei Dir. Mein Leben ist diese Frikadelle. Schnell, ohne viel Geschmack, aber mit bösem Nachspiel.« Sie unterdrückte einen Rülpser. Bevor Tom Krohne das mit der asiatischen Gemüsepfanne weit von sich weisen konnte, trat ein unsicher aussehender Polizist an den Stehtisch und fragte: »Tschuldigung … seid ihr hier fertig?«
Hanna Mantolf spülte den Fleischklops und das Brötchen mit einem Schluck Kaffee aus dem Plastikbecher herunter.
»Die Frau vom Toten – Elisabeth Borke – die hat ihn eben als vermisst gemeldet«, verkündete der Beamte.
»Gutes Timing. Da kümmern wir uns gleich drum«, wimmelte Krohne den Mann ab. »Hier müssen noch ein paar Leute befragt werden.« Er ließ sich, ohne hinzusehen einen Zettel mit der betreffenden Adresse geben. »Und versuchen Sie bitte, diese beiden verdächtig nach Presse aussehenden Leute da drüben in dem grauen Polo wegzuscheuchen.«
Hanna folgte seinem Blick. Ein Mann und eine Frau saßen telefonierend in den offenen Türen des Autos. Einer der Polizisten lief gerade auf sie zu. Hanna kannte das Gesicht der Frau von Pressekonferenzen des Hauptquartiers. Sie war Reporterin bei irgendeinem kleinen linksrheinischen Blatt. Was machte sie so früh hier? War das Zufall?
»Da ist aber noch was«, sagte der Mann. »Dieser Sven Borke. Das ist ein ziemlich bekannter Fotograf, wohnhaft in Mannheim, in der Uhlandstraße.«
Das ist bei mir um die Ecke, dachte Hanna erstaunt und fragte sich, warum sie noch nie etwas von dem Mann gehört hatte. Krohne hingegen fasste sich an die Stirn.
»Ah, jetzt weiß ich, woher ich den Namen kannte. Das ist doch der Typ, auf den sich die Presse immer
Weitere Kostenlose Bücher