Nr. 13: Thriller (German Edition)
den Knien ein Buch. Im Kamin brennt ein Feuer. Es ist seltsam, das Flackern zu sehen, aber weder hören noch spüren zu können. Auf dem Tisch steht immer noch der Adventskranz, die vier Kerzen brennen ihrem Verschwinden entgegen; in diesem Haus wird nichts vergeudet. Neben dem Sessel dampft eine Teekanne, aus der er sich, seit sie hier draußen steht, vier Mal eingegossen hat, jede halbe Stunde einmal. Einen goldenen Strahl, noch ein wenig Milch und Kandis, und dann war da noch die Schüssel mit Mamas Plätzchen, aus der er sich bedient. Vanille-Kipferl, Zimtsterne und Sandkekse. Sie stellt sich vor, wie warm es dort drinnen ist, wie es riecht. Er hat während der ganzen Zeit kein einziges Mal zu ihr her gesehen. Seine langen, schlanken Finger blättern die Buchseiten um, und sie weiß, dass er behaglich schnauft, wenn er die Tasse an die Lippen setz. Sie fragt sich, was wohl geschieht, wenn sie umfallen würde Ihr Gesicht ist gefühllos geworden, die Hände scheinen gar nicht mehr zu ihr zu gehören. Die Füße sind nur noch Schmerz.
Wie lange denn noch …
In diesem Moment klappt er das Buch zu und sieht sie an. Sie zuckt zusammen. Zwischen ihnen liegt die Balkontüre, an deren Seiten Eiskristalle wachsen. Die hellblauen Augen richten sich auf sie. Da ist wieder dieser wohlwollende Ausdruck, und sie weiß, dass die Strafe beendet ist. Die Wanduhr zeigt 12 Uhr mittags. Er steht auf, legte das Buch weg und geht ohne Hast zum Kamin, schürt ein wenig das Feuer auf. Gleich ist es vorbei. Doch sie spürt keine Erleichterung. In gewisser Weise ist es besser da draußen im Winter zu stehen. Er kommt herüber und öffnet die Balkontür. Ein Schwall warmer Luft flimmert auf der Grenze ins Freie. Er hält die Tür weit auf und sieht sie einladend und aufmerksam an. Sie bewegt sich nicht und senkt den Kopf. »Darf ich wieder hinein?«
Ihre Stimme ist dünn wie der Bindfaden, an dem der Meisenknödel hängt.
»Hast du darüber nachgedacht?«
Sie nickt.
»Und zu welcher Lösung bist du gekommen?« - »Ich werde es nie wieder tun.«
»Was wirst du nie wieder tun?« - »Ich werde nie wieder so lange das heiße Wasser laufen lassen.«
Das Zittern in ihrem Innern wird zu einem Krampf. Diese Worte sagen zu müssen, ist seltsamerweise schlimmer als die schreckliche Kälte, aber sie zeigen das erhoffte Resultat. Er lächelt. Freundlich und versöhnt. Er streckt die Hand aus. Das ist das Zeichen. Sie muss diese Hand ergreifen, die warm und etwas feucht ist. Und dann steht sie im Wohnzimmer, und die Balkontür ist zu. Er führt sie hinaus in den Flur und zu ihrem Zimmer. Vorbei an der Küche. Dort steht ihre Mutter und putzt vehement den Rosenkohl. Sie dreht sich nicht um, aber das Mädchen glaubt zu spüren, dass sie in sich zusammensinkt, als es an der Küche vorbei geht.
»In einer halben Stunde gibt es Mittagessen«, sagt er und schließt ihre Zimmertür auf. Sie geht hinein und setzt sich aufs Bett. Ihr ist immer noch kalt. An diesem Tag wird es kein warmes Wasser mehr geben. Später sitzen sie schweigend beim Essen, aber er lächelt über jeder Gabel Rosenkohl und Kartoffelbrei. Das Fleisch dampft. Sie schaut hinaus auf den Balkon. Es schneit jetzt, und die Meisen balgen sich um die Vogelfutterkugeln am Geländer. »Ein köstliches Essen«, lobt er. Die Mutter verzieht den Mund, aber es ist kein Lächeln. Nur so etwas Ähnliches.
Am Abend kommt er noch einmal in ihr Zimmer, als sie schon im Bett liegt. Die Mutter hat heimlich eine Wärmflasche gemacht und ihr unter die Decke gelegt. Jetzt befürchtet sie, dass er sie entdecken könnte. Er setzt sich zu ihr und starrt sie an. Unter der Bettdecke wird es wieder Winter.
»Du weißt, warum ich das tun musste, oder?«, fragt er mit strenger Stimme. Sie nickt.
»Sag es mir. Sag mir, warum du bestraft wurdest.«
»Weil ich es falsch gemacht habe.«
Jetzt nickt er, zufrieden und selbstgefällig. »Du weißt, dass ich dir das nicht durchgehen lassen kann.«
»Ja.«
»Es ist wichtig, dass du es lernst.«
»Ja.«
»Du willst ein guter Mensch werden, nicht wahr? Und kein Schmarotzer, der alles verschwendet und undankbar ist. Du willst besser sein.«
»Ja.«
»Ja, was?«
»Ja, ich will besser werden.«
»Ich helfe dir dabei. Ich helfe dir und mache dich darauf aufmerksam, wenn du schlecht bist. Alle guten Menschen mussten schon einmal bestraft werden. Nur dadurch konnten sie anständig heranwachsen, das ist vollkommen normal und notwendig. Du hast zu lange das
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