Odice
umwerfend aus«, erklärte er verzückt.
Odice hatte ihn gefragt, warum er ihr das alles erzählte.
Pascal hatte einen Moment lang geschwiegen, um sich ihrer vollen Aufmerksamkeit bewusst zu werden und dann vielsagend verlauten lassen, dass die beiden die Inhaber eines äußerst exklusiven Privatinstituts seien.
Odice wusste, wie sehr Pascal es genoss, über das alleinige Monopol in Hinblick auf bestimmte Informationen zu verfügen und dass sie ihm jede einzelne würde in quälend langwierigen Befragungen entlocken müssen.
»Nun, sie sind in gewisser Weise erzieherisch tätig. Sie bringen Frauen wie dir Gehorsam bei.«
Odice hatte empört aufgelacht.
»Willst du mich beleidigen? Du schlägst mir vor, mich in irgendeinem ominösen SM-Club erniedrigen zu lassen? Ganz ehrlich, Pascal, so verzweifelt bin ich nun wirklich nicht. Dass du mir überhaupt davon erzählst, finde ich schon ein starkes Stück. Ich werde ganz bestimmt nicht dafür bezahlen, dass mir jemand eins überhaut. In was für einer Welt leben wir eigentlich? Sind das die Auswüchse des nachaufklärerischen Zeitalters, das den Ikonen der Emanzipation folgt? Noch vor dreißig Jahren sind unsere Mütter und Großmütter gegen Gewalt in der Ehe und für ein Recht auf die Pille und auf Abtreibung auf die Straße gegangen und jetzt lassen sich Frauen allen Ernstes freiwillig Gewalt antun? Das ist wirklich ein Trauerspiel. Ich bin jedenfalls weder pervers noch devot und damit ist das Thema für mich ein für alle Mal erledigt.«
»Gut, wie du willst«, hatte Pascal knapp geantwortet, doch nach einem Moment des beleidigten Stillschweigens hatte er hinzugefügt: »Nun, etwas solltest du aber noch wissen. Es ist kein Sex-Club, sondern das private Anwesen der Gebrüder de Lautréamont direkt an der Loire, sie betreuen nur jeweils eine einzige Klientin und sie bieten ihre delikaten Dienste vollkommen unentgeltlich an. Aber wenn es dich nicht interessiert, werde ich dich bei meiner Verabredung mit Eric nächste Woche wegen Migräne entschuldigen.«
»Du hast dich mit diesem Mann verabredet? Wie kommst du denn dazu?« Odice’ Stimme klang in ihren eigenen Ohren eine Nuance zu schrill.
»Ich sagte ja, sie sehen beide fantastisch aus. Ich glaube kaum, dass ich eine ernst zu nehmende Chance habe. Sie sind schon ziemlich hetero, aber da schien etwas an Eric zu sein, das mir wenigstens eine winzige Chance einräumen könnte. Naja, und dann sagte ich, dass ich eventuell, unter Umständen, ganz vielleicht eine Freundin hätte, die sich möglicherweise für ihre Dienstleistung interessieren könnte.«
So verklausuliert, wie sich Pascal ausgedrückt hatte, so kleinlaut wurde gegen Ende seines Berichts auch seine Stimme.
»Du hast mich also in einer so peinlichen Geschichte ins Feld geführt, nur um dich mit diesem Mann treffen zu können?« polterte Odice.
Im Anschluss an dieses Telefonat hatte eine volle Woche Funkstille zwischen ihr und Pascal geherrscht, doch das, was er ihr erzählt hatte, war ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Nicht, weil sie der Meinung war, eine sexuelle Therapie und einen Lehrgang in Gehorsam zu brauchen, um sich in einer Beziehung besser einordnen zu können. Allein der Gedanke trieb ihr noch immer die Zornesröte ins Gesicht. Nein, was sie an der ganzen Geschichte reizte, war etwas ganz anderes. Während ihres Studiums und auch für ihre Abschlussarbeit hatte sich Odice sehr ausführlich mit Sexualität und Weiblichkeit im Surrealismus auseinandergesetzt. Sie hatte die Geschlechterbilder und sexuellen Rollenzuweisungen analysiert, die für die Künstler und Literaten dieser Strömung bedeutsam gewesen waren und die Arbeit der Künstlerinnen untersucht, die sich der patriarchalisch geprägten und von André Breton dominierten Gruppe angeschlossen oder sich wohlweislich von ihr ferngehalten hatten. Dabei hatte sie nicht nur unzählige Kunstwerke betrachtet, Manifeste und Pamphlete gelesen, sondern sich auch mit denjenigen Autoren beschäftigt, die den Surrealisten als Galionsfiguren und Gründerväter galten; darunter der Marquis de Sade, Pauline Réage und George Bataille.
Anfangs hatten sie die sexuellen Ausschweifungen und oft frauenverachtenden Texte lediglich irritiert und abgestoßen. Doch dann hatte Odice allmählich entdeckt, dass nicht nur männliche Vertreter des Surrealismus Sade und Réage huldigten, sondern auch Künstlerinnen, deren extravaganten wie nonkonformen Lebenswandel man ganz und gar nicht als devot bezeichnen
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