Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Tunika bekleidet, vier, fünf Schritte vor ihm.
Ein Griff nach dem Stirnband – es lag im Gras. Eine Kopfbewegung – das lange Haar flog zurück.
Enthüllt war auch das geteilte Gesicht, halb Madonnenantlitz, halb Höllenfratze.
Ein Aufstöhnen ging durch die Versammlung. Rothari stieß einen Laut des Entsetzens aus und wollte sich abwenden. Doch sah er es gerade noch rechtzeitig vor sich aufblitzen.
Das Schwert, von der Hand der Frau geführt, sauste haarscharf an ihm vorbei.
Erschrocken sprang er zurück und packte die eigene Waffe fester. Der Mantel, den er aus Geringschätzung für seinen Gegner nicht abgelegt hatte, behinderte ihn. Feuerrot war sein vornehmes Leidensgesicht.
Wie könnte ich diesen Kampf vergessen! Noch jetzt verfolgen die Bilder mich bis in den Schlaf. Stellte man sich die Erinnyen oder Furien, die die alten Völker erschreckten, in Menschengestalt vor, so mußten sie dieser entfesselten Streiterin ähneln.
Mit wilden, grotesken Sprüngen, den Körper dabei vor- und zurückschnellend, warf sie sich auf den Gegner. Hemmungslos schlug sie auf ihn ein, ohne Pause und unbekümmert um Regeln, die ihr wohl auch kaum bekannt waren. Bei jedem Hieb stieß sie einen Schrei aus. Ihr langes, braunes Haar umflatterte ihre Schultern. Das geteilte Gesicht glich einer Maske, aus der ein lebendes und ein totes Auge hervorstarrten.
Der Graf wich zurück, noch immer betroffen, eher unwillkürlich die Streiche parierend. Wie eine Tänzerin in der römischen Posse umkreiste ihn die Luitgard. Auch er selber glich einem Spaßmacher, wenn er sich hastig nach links oder rechts wandte oder um sich selber drehte. Niemand lachte jedoch. Man hörte nur das Klirren des Eisens, das laute Keuchen der beiden ungleichen Kämpfer, die Schreie der Witwe.
Dann aber gewann Rothari die Oberhand. Er hatte sich etwas gefaßt, und seine Bewegungen wurden sicherer. Jetzt zeigte sich seine Überlegenheit. Mit halben Drehungen wich er aus, und die Schläge der Luitgard gingen ins Leere. Das machte sie ungeduldiger, unvorsichtiger. Blindwütig schlug sie weiter. Die Wucht der Schwertstreiche riß ihren schmalen, auf wackligen Füßen stehenden Körper mit. Sie torkelte durch den Ring wie eine Betrunkene.
So gab sie sich bald die Blöße, die er nutzen konnte. Ein rascher Ausfall. Ein sorgsam gezielter Hieb. Das Schwert flog ihr aus der Hand. Sie wälzte sich stöhnend im Gras.
Geschrei erhob sich. Es klang erleichtert. Das hybride, furchterregende Weib war geschlagen.
Odo sprang vor, um ihr aufzuhelfen.
Aber der Kampf war noch nicht zu Ende. Mit einer katzenhaften Bewegung streckte sich die Luitgard. Sie packte die Waffe erneut. Jetzt nahm sie den Griff in beide Hände.
Sie raffte sich auf, und mit einem Schrei, der als schauriges Echo von den Bergen zurückkam, stürzte sie sich erneut auf ihren Gegner.
Wieder erschrak Rothari, und diesmal wurde es ihm zum Verhängnis. Er parierte zu spät.
Die Klinge sauste an seinem Kopf vorbei und fuhr ihm tief in die Schulter. Seiner Hand entfiel die Waffe, und mit einem Klagelaut sank er zu Boden. Blut sickerte aus der Wunde und färbte das Gras.
Kein Laut war in der Versammlung zu hören.
Die Luitgard warf das Schwert fort. Schwer atmend starrte sie auf den Liegenden.
Plötzlich kniete sie neben ihm nieder. Er ächzte erbarmungswürdig und drehte den Kopf von ihr weg. Sie beugte sich über ihn und murmelte etwas. Ihr langes Haar bedeckte seinen Kopf und seine Schultern. Ich glaube, in diesem Augenblick küßte sie ihn.
Rasch richtete sie sich wieder auf. Als werde sie jetzt erst gewahr, daß Hunderte Augen sie anstarrten, strich sie hastig das Haar über ihr zerstörtes Gesicht. Dann sprang sie auf, und hinkend und schwankend, sich durch die Menge am Ring hindurchdrängend, floh sie.
Der junge Thankmar hob ihren Umhang und ihre Schuhe auf und eilte ihr nach. Sein Schwert vergaß er.
Ich habe die Witwe Luitgard nicht wiedergesehen.
Längst war die Mittagsstunde vorüber, als der Gerichtstag fortgesetzt wurde. Rouhfaz hatte dem Grafen einen Verband angelegt, und der Verletzte konnte, von mehreren seiner Leute getragen, zum Salhof zurückkehren. Vorher hatte ihn Odo gefragt, ob er den Kampf, der nicht ganz nach den Regeln verlaufen sei, als Gottesurteil gegen sich anerkenne. Dies hatte Rothari stumm bejaht, und so galt seine Schuld nun als erwiesen. Wir sind nicht berechtigt, von Grafen Bußgelder zu erheben oder sie gar aus dem Amt zu entfernen. Odo forderte Rothari deshalb
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