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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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los war, doch Oksas Gegenwart war ihnen nicht verborgen geblieben. Die Junge Huldvolle hatte sich durch die eigenartige Begegnung gestärkt gefühlt, auch wenn es frustrierend gewesen war, niemanden berühren zu können. Und jetzt stand Gus in Fleisch und Blut vor ihr. Wie viel Zeit war inzwischen verstrichen, dass er sich so verändert hatte? Allerhöchstens ein paar Wochen, der herbstlichen Färbung des Laubs und der kühlen Nachtluft nach zu urteilen.
    »Oksa? Bist du das?«, fragte er fassungslos. Er starrte sie an, als wäre sie ein Gespenst. Dann ließ er den Blick über die Neuankömmlinge schweifen und seine Miene verdüsterte sich. Seine Eltern waren nicht unter den Rückkehrern. Mit hölzernem Gang kam er die Treppe herunter. Als er Oksa gegenüberstand, musterte er sie lange, seine dunkelblauen Augen nahmen jedes Detail ihres Gesichts und ihres Körpers in sich auf. Oksa seufzte ungeduldig. Hatte sie sich denn auch so stark verändert? Gus’ Blick nach zu urteilen, schien es fast so.
    »Das gibt’s nicht«, murmelte er. »Du bist tatsächlich zurückgekommen … Ich hätte nie gedacht, dass du dich dafür entscheiden würdest.«
    Oksa hätte am liebsten laut aufgeschrien. Gus war offenbar nicht klar, dass sie die ganze Zeit auf nichts anderes hingefiebert hatte – seit sie am Goshun-See von ihm und von ihrer Mutter getrennt worden war. Glaubte er etwa, er wäre der Einzige, der gelitten hatte? Sie warf ihm einen Blick voller Wut und Enttäuschung zu. Andererseits wusste sie ja nur zu gut, dass Gus sich gern hinter dieser etwas mürrischen Fassade versteckte. In dem Punkt hatte er sich offenbar kein bisschen verändert. Seine abweisende Miene wurde allmählich freundlicher und strahlte schließlich wieder jene Einfühlsamkeit aus, die Oksa an ihm kannte. Ihre Freude brach sich endlich in einem Lächeln Bahn, und sie ging auf ihn zu, um ihn zu umarmen oder ihm wenigstens zu zeigen, wie froh sie war, ihn wiederzusehen.
    In diesem Augenblick erschien Kukka oben auf dem Treppenabsatz.
    Die blonde, eiskalte Kukka. Die Eiskönigin, die sogar noch göttlich aussah, wenn sie gerade im zerknitterten Pyjama aus dem Bett gesprungen war. Und das Schlimmste war, dass Kukka aus Oksas früherem Zimmer gekommen war, demselben, das Gus jetzt bewohnte.

Am Rand des Abgrunds
    W o sind meine Eltern?«, fragte Kukka aufgeregt.
    »Es geht ihnen gut, du kannst ganz beruhigt sein«, antwortete Abakum und winkte ihr, sich zu ihnen zu gesellen.
    »Wo sind sie?«, wiederholte sie in bebendem Ton.
    Ihre Stimme klang beinahe schrill. Mit angstvollen, unsicheren Schritten kam sie die Treppe herunter und klammerte sich dabei am Geländer fest.
    »Gus?«, sagte sie und suchte seinen Blick.
    Der Junge drehte sich zu ihr um.
    »Meine sind auch nicht da«, sagte er mit unsicherer Stimme.
    »Eure Eltern gehören zu jenen, die nicht mit uns das Tor passieren konnten«, erklärte Abakum, während er den beiden jeweils eine Hand auf die Schulter legte. »Doch es geht ihnen gut, alles ist in Ordnung, glaubt mir.«
    »Alles ist in Ordnung?«, wiederholte Kukka beinahe hysterisch. »Also, ich finde, dass hier überhaupt nichts in Ordnung ist.«
    »Kukka … bitte«, stöhnte Gus.
    Bildete sich Oksa das nur ein, oder klang Gus tatsächlich ein wenig genervt? Kukka stand jetzt direkt vor ihr, doch das Mädchen war so panisch, dass es Oksa gar nicht wahrzunehmen schien. Oksa hatte beinahe Mitleid mit ihr. Sie kannte die Angst, die einen in solchen Momenten befiel, nur zu gut. Allerdings verflog Oksas Mitgefühl augenblicklich, als Kukka sich Gus an die Brust warf und die Arme um seinen Nacken schlang. Das Band, das ihre Haare zusammenhielt, löste sich, und ein paar lange, seidige Strähnen legten sich über Gus’ Schultern. Oksa hätte lieber einen Hieb in die Magengrube bekommen, als diese Szene mit ansehen zu müssen.
    Wie überstand man zwei emotionale Erdbeben der Stärke einhundert an einem einzigen Abend?
    Wie schaffte man es, nicht in Verzweiflung zu versinken, obwohl dieses Wiedersehen doch eigentlich einem Wunder gleichkam?
    Wie bewahrte man seine Würde, während man nur an eines denken konnte: dem Mädchen, das alles kaputt machte, das Gesicht zu zerkratzen? Aber Oksas Fingernägel waren ohnehin vollständig abgekaut und hätten nichts und niemanden zerkratzen können. Und sie war viel zu stolz, um sich anmerken zu lassen, wie sehr ihr Kukka zusetzte.
    »Warum«, fragte Kukka schluchzend, immer noch an Gus’ Schulter geschmiegt,

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