Olafur Davidsson 02 - Herbstwald
Gollas, aber alle hier nennen mich einfach nur Rico.«
Davídsson erkannte keine Trauer bei ihm. Seine schwarzbraunen Augen sagten ihm, dass er noch nicht wusste, dass Catharina Aigner nicht mehr lebte. Dieses Gespräch würde nicht so einfach verlaufen wie das mit dem Forstdirektor.
Es würde unangenehmer und schmerzvoller.
»Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
»Sie können hierbleiben. Ich habe sowieso noch etwas mit seinem Vorarbeiter zu besprechen«, antwortete Rieger, dem eine kindliche Neugierde ins Gesicht geschrieben stand.
Sie warteten, bis Helmut Rieger den Raum mit beiden Brillen in den Händen verlassen hatte.
»Was sagt Ihnen der Name Catharina Aigner?« Der Kriminalanalyst wollte nicht schon durch seine erste Frage verraten, dass sie tot war. In der Vergangenheitsform über eine Person zu sprechen konnte den Verlauf eines ganzen Gespräches verändern. Die Menschen hörten besser zu, als man glaubte.
»Das ist meine Ex.« Er lächelte wieder.
»Wie lange waren Sie zusammen?«
»Zwei Jahre und drei Monate.«
»Wie lange ist es her, dass Sie sie zum letzten Mal gesehen haben?«
»Ist sie verschwunden?« Das Lächeln war schlagartig aus seinem Gesicht gewichen.
»Nein. Wir wissen, wo sie ist.« Das war eine makabere Aussage. Sie lag im Leichenschauhaus und wartete auf die Freigabe zu ihrer Beerdigung.
»Wir haben uns etwa vor einem Monat getrennt. Danach habe ich sie auch nicht mehr gesehen.«
»Warum haben Sie sich von ihr getrennt?«
»Sie war zu kompliziert.«
»Was heißt das?« Davídsson stand auf und stellte sich vor eine Wand, an der unzählige Geweihe in unterschiedlichen Größen hingen.
»Sie hat mir zu sehr geklammert. Sie redete dauernd vom Heiraten und davon, dass sie mehr Zeit mit mir verbringen wollte.«
»Das ist doch schön.«
»Ja, es ist eigentlich okay, aber ich will noch nicht heiraten und eine richtige Familie mit Kindern und so. Ich bin froh, dass ich alleine wohnen kann und endlich weg bin von meiner Familie.«
Davídsson nickte.
»Warum fragen Sie mich das alles?«
»Ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen.« Davídsson stellte sich direkt neben ihn auf ein weißes Karo. Ricardo Gollas Stuhl stand auf einem schwarzen Quadrat. Der Steinboden war ein großflächiges Schachbrettmuster, und er war der Läufer, der dem König einen Stich ins Herz versetzte. Schachmatt, dachte Ólafur Davídsson.
»Catharina Aigner ist … tot.« Es gab viele Arten, das zu sagen. Er hasste sie alle. Am Ende waren es doch immer die gleichen schmerzlichen Worte.
Ricardo Gollas sprang von seinem Stuhl auf und schüttelte heftig den Kopf. »Was ist los?«
»Sie wurde ermordet.«
»Wann?« Davídsson sah, dass seine Augen feucht wurden.
»Vor fünf Tagen.«
»Und warum kommt ihr erst jetzt?«
»Wir wussten nicht, wer Sie sind oder wo wir Sie finden können.«
»Scheiße. Scheiße! SCHEISSE!«
»Sie hatten noch immer tiefe Gefühle für sie, oder?«
»Verdammt nochmal – JA!«
»Ich weiß, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt.« Davídsson hatte diesen Satz schon oft gesagt, und jedes Mal war es die Wahrheit gewesen.
Der junge Mann ließ sich wieder auf den Stuhl zurücksinken. Er starrte durch Davídsson hindurch an die Wand mit den Geweihen. »Kann ich sie sehen?«
»Sie sollten Catharina so in Erinnerung behalten, wie Sie sie gekannt haben.«
»Hat sie leiden müssen?«
»Wir wissen es nicht«, log Davídsson.
»Hören Sie auf, mich zu verarschen!«
»Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen.«
»Aha, und warum ermittelt das BKA? In der Glotze macht ihr immer nur die üblen Sachen.«
»Ich bin Kriminalanalyst. Die Ermittlungen führt die Mordkommission von Augsburg. Wir helfen ihnen nur, denjenigen zu finden, der das getan hat.«
»Scheiße, und ich komme hier nichts ahnend her und dachte, ich kann endlich meinen Arbeitsvertrag unterschreiben. Letzte Woche war die Gesellenprüfung und ich habe mit guten Noten bestanden. Alles lag noch vor mir. Und jetzt?«
»Es tut mir leid.«
Sie schwiegen.
Davídsson hielt ihm nach einer Weile das Foto mit dem Jungen aus der Straßenbahn hin.
»Haben Sie ihn schon mal bei Catharina gesehen?«
Ricardo Gollas reagiert nicht auf die Frage.
Davídsson ließ ihm die Zeit, die er brauchte, um sich wieder zu sammeln.
»Das ist doch ihr Bruder«, sagte der junge Mann schließlich.
»Das auf dem Foto ist ihr Bruder?« Ólafur Davídsson schluckte. Er spürte, wie sich sein Magen
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