Liebe, Lust und Lesebrille
Vorwort
Als Autorin werde ich hin und wieder gefragt, was ich denn gerade so schreibe. »Ich arbeite an einem Buch über Paare«, antwortete ich anfangs. Das klang merkwürdig spröde. Und entsprach gar nicht dem lustvollen »Spirit«, der sich mittlerweile schon längst in meinem Manuskript breitgemacht hatte. Etwa kühner behauptete ich dann später: »Ich schreibe gerade ein Buch über die Liebe.« Das klang allemal aufregender. Und stimmte ja auch irgendwie.
Genau genommen geht es aber auch nicht um Liebe im Allgemeinen, sondern um die »ältere« Partnerschaft im Besonderen. Und um Liebe in einer bestimmten Lebensphase. Einer schwierigen Lebensphase. Und natürlich darum, wie man als Paar gemeinsam gestärkt aus dieser Phase herauskommen kann.
Die Identitätskrise der mittleren Lebensjahre wird von Paartherapeuten gerne als eine Art »zweite Pubertät« bezeichnet. Sie gilt als »normative Krise«, also eine ganz normale Krise, die nahezu zwangsläufig mit den menschlichen Reifungsprozessen einhergeht. Als »Krise in der Lebensmitte« hat sie in der Paarpsychologie einen festen Platz und wird ebenso ernst genommen wie als lösbar betrachtet. Vorausgesetzt, beide Partner zeigen sich willig, diese Krise gemeinsam aktiv zu meistern.
Dieser Reifungs- und Entwicklungsprozess ist allerdings kein netter Spaziergang. Sondern eher eine abwechslungsreiche Wanderung durch holpriges Gelände: Mal ist sie anstrengend, mal leichtfüßig zu gehen, mal führt sie durch Dornengestrüpp, mal durch weiches Gras, mal über Brücken und Felsen und manchmal schlicht und ergreifend auf den Holzweg. Manche Biegung ist vorher nicht einzusehen, für manchen Steilanstieg braucht man Zeit, Ausdauer und Geduld. Dieser gemeinsame Gang ist mal lust- und mal schmerzvoll. Mal geht einer stramm vorneweg und der andere weiß nicht genau, ob er mithalten kann. Dann gilt es zu schauen: Wer wartet auf wen? Wer kann in welchem Tempo? Können wir auch ein Stück Weg gemeinsam zurücklegen, ohne ständig nebeneinanderher zu laufen?
Sich auf diesem Weg miteinander abzustimmen und die Höhen und Tiefen – mal allein und mal gemeinsam – zu durchlaufen, ist ein sensibler, störanfälliger und komplexer Prozess.
Sie auf diesem holprigen Weg ein Stückchen zu begleiten, ist Anliegen meines Buches. Insofern ist es auch eine kleine Arbeitsfibel. Eine Arbeitsfibel für fortgeschrittene Liebende.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und hoffe, dass die ein oder andere Anregung Ihre Partnerschaft beleben und konstruktiv voranbringen wird.
Hamburg, November 2012
Felicitas Römer
1. Wermutstropfen und Champagner
Die ganz normale Krise in der Lebensmitte und was sie von uns will
Als mein Mann seine erste Lesebrille mit nach Hause brachte, war ich schier entzückt. Ich fand, dass er mit dem eckigen Gestell auf der Nase sehr süß aussah, und schielte immer wieder verstohlen zu ihm hinüber, wenn er Zeitung las oder in einem Buch blätterte. Ein Hauch von Reife und Intellektualität umgab ihn. Ich fand das ausgesprochen sexy und grinste unentwegt fröhlich vor mich hin.
Er hingegen hatte für mein schwärmerisches Getue kein Verständnis. Von Begeisterung keine Spur. Im Gegenteil. Er fand sich plötzlich baufällig. Undynamisch. Jugendbefreit. Alles, nur nicht sexy. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass er das ungeliebte Symbol des Ältergewordenseins nachlässig herumliegen lässt und infolgedessen mehrfach täglich damit beschäftigt ist, es zu suchen. Zur Belustigung der gesamten Familie natürlich. Aber vielleicht ist das auch einfach ein deutliches Zeichen dafür, dass er die Lesebrille doch noch nicht so ganz als Teil seiner selbst akzeptiert hat. So richtig sexy findet er sich damit wohl immer noch nicht.
Verständlich. Es ist ja auch schwierig, plötzlich zur »Generation Lesebrille« zu gehören. Schließlich wird man nun in eine andere Schublade getan, unter einer anderen Rubrik abgeheftet. »Rollenfachwechsel« nennt man das in der Schauspielerei: Eben noch der leidenschaftliche jugendliche Liebhaber, nun der gediegene, grau melierte Herr mit Schlips und Kragen. Oder schlimmer noch: der alternde Vater eines jugendlichen Liebhabers! Gerade noch die schöne, jugendliche Heldin und jetzt auf der Bühne des Lebens »nur noch« die mütterliche Gouvernante. Oh weh! Das zu verkraften, ist nicht nur für narzisstisch strukturierte Menschen eine echte Aufgabe. Das ist für die meisten Menschen schmerzlich.
Die Generation Lesebrille
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