Olga & Lust und Leid
innerlichen Abstand. Ganz allein, ähnelte unser Umgang jenem zwischen guten Freunden. War das nicht genug?
Lag der schlimmste Verlustschmerz nun hinter mir, weil ich mich so viel mit Olga beschäftigte und sogar leidenschaftlich von ihr träumte?
„Entschuldigung! Sie waren jedoch zu schnell“, erklärte ich mein Versäumnis.
Sie lächelte amüsiert.
„Gut, dass Du kein Schauspieler geworden bist. Ich bin zwar überzeugt, dass uns niemand beobachtet hat, aber immer wieder höre ich Sie, so wären wir einander noch fremd.“
Ich errötete, da mir das nicht zum ersten Mal passiert war. Die Erziehung machte mich zu einem Preußen.
„Bitte anschnallen!“, lenkte ich ab und fuhr los.
Wir redeten eigentlich kaum, aber Olga störte das in keiner Weise. Zu allem Unglück machte auch noch die Heizung im Wagen Probleme, obwohl ich die höchste Stufe eingestellt hatte. Das Innenthermometer zeigte wie zum Hohn dreißig Grad an. Bei der Abfahrt hatte alles noch tadellos funktioniert. Warum passierten immer mir solche Missgeschicke? Olga würde sehr frieren müssen. Kälte schuf mit Sicherheit auch keine Nähe.
„Die Wagenheizung streikt leider“, erklärte ich.
Sie sagte nichts dazu.
„Wie gefällt es dir in Berlin?“, wagte ich nach einiger Zeit eine persönliche Konversation ohne das störende Sie zu beginnen.
„Gut.“
Olga hatte wohl keine Lust auf ein langes Gespräch. Ich sah, dass eine ihrer Hände etwas zitterte. Sie bemerkte wohl meinen Blick und lächelte wieder auf diese charmante, irgendwie vertrauensvolle Weise, erklärte aber trotzdem nichts.
Die Fahrt verlief recht unproblematisch. Die hohen Benzinpreise sorgten momentan dafür, dass die Menschen weniger fuhren.
„Am Wochenende war ich zu Besuch bei meinem Onkel, dem Minister“, begann ich nach einiger Zeit erneut, weil ich mich doch mit ihr unterhalten wollte.
„Ich erzählte bei Tisch ein wenig von unserer Zusammenarbeit. Mein Onkel erinnerte sich daran, dass sein Urgroßvater, also mein Ururgroßvater, 1918 deutscher Botschafter in Moskau gewesen war, und zeigte mir einige alte Bilder. Darunter waren auch solche von der Zarenfamilie.“
Olga schwieg, doch man spürte, dass sie gebannt zuhörte.
„Dabei fiel mir auf, dass du eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem der Mädchen hast.“
Meine Ausführungen sollten vor allem demonstrieren, dass ich keine Probleme mit dem Du hatte.
„So?“, murmelte die Angesprochene äußerlich gelassen.
Sie nahm die Schmeichelei nicht so ernst.
„Ja, tatsächlich“, ergänzte ich. In der Regel gefielen allen Frauen Vergleiche mit hochrangigen Personen.
„Natürlich waren die Frisur und die Kleidung anders, aber wenn man sich das wegdachte, dann ist die Ähnlichkeit mit der ältesten Tochter des Zaren fast zwillingshaft! Natürlich könnt ihr keine Zwillinge sein, da liegen hundert Jahre dazwischen. Ihr tragt sogar die gleichen Vornamen. Bist du vielleicht mit den Romanows entfernt verwandt?“
„Das hat man hier im Westen schon häufig festgestellt und gefragt. Diesen slawischen Frauentyp gibt es in Russland jedoch recht oft. Wir haben übrigens sogar fast am gleichen Tag Geburtstag.“
Das klang zwar recht gleichgültig, aber ich hatte das Gefühl, dass sie dieses Gespräch gut unterhielt. Sie war also doch eitel. Mir gefiel dies. Durch kleine Fehler wirken die Menschen sympathischer und nicht mehr so unerreichbar.
„Wann?“, fragte ich nach, obwohl mir ihr morgiger Geburtstag durch die Akten bekannt war. Ich heuchelte jedoch Unwissen.
„Nun, eigentlich sollte man bei einem guten Kommissar vermuten, dass er sich informiert!“, scherzte meine Gesprächspartnerin.
„Hast du denn meine studiert?“, warf ich den Ball zurück.
Olga lachte fröhlich auf.
„Köstlich! Man merkt immer wieder, dass du die klassische Konversation noch erlernt hast.“
„Wie kommst du darauf?“ Mein Gesicht wandte sich ihr neugierig zu.
„Deine Familie ist doch recht berühmt und du hast zudem das Adelsinternat in Thüringen besucht. Lernt man dort nicht mehr dergleichen?“
Sie hatte sich also mit meiner Biografie vertraut gemacht. Das war zu erwarten gewesen, schmeichelte jedoch trotzdem.
Die hübsche Russin schaute mich nun direkt an und ließ eine Pause entstehen, sodass ich mich zu ihr wenden musste.
Sie legte mir für einen kurzen Moment die kühle Hand auf meinen Arm am Lenkrad.
„Ich denke, du weißt inzwischen, dass ich dich mag?“ Die Frage schien nur rhetorisch zu sein, da Olga
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