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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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Kapitel 1
    In den alten Gebäuden brannte nicht ein einziges Licht. Der Kontrollposten zwischen Deutschland und Dänemark in der Nähe von Flensburg war unbesetzt. Man hatte ihm gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen, dennoch atmete er erleichtert auf. Jetzt in den Abendstunden sah es hier aus wie in einer Geisterstadt. Oder wie in einer kleinen, verlassenen Town im Wilden Westen, in der die allgemeine Gesetzlosigkeit die Einwohner in die Flucht geschlagen hatte.
    Aber hier gab es weder Geister noch Cowboys. Es gab nur die EU und so gut wie offene Grenzen. Ein Paradies für Leute wie Doskino und ihn selbst.
    Bernandas Mielkos schlug mit beiden Händen ein Trommelsolo auf das Lenkrad. Verließ die Autobahn an der nächsten Ausfahrt und steuerte den Wagen langsam über eine schmale Straße. Bald hatte er den Rastplatz erreicht. Er schaltete das Radio ein. Stieß auf Musik, die seiner Meinung nach weder Melodie noch Rhythmus hatte. Suchte weiter. Hielt inne, als er bekannte Töne hörte. Sang leise und falsch mit: «… All along the waterfall, with you, my brown-eyed girl. You, my brown-eyed girl. Do you remember when we used to sing, shalalala …»
    Das Dröhnen eines von hinten nahenden Dieselmotors übertönte sowohl seine eigene Stimme als auch die von Van Morrison. Der Platz um ihn herum wurde in helles Licht getaucht. Bernandas Mielkos sah in den Rückspiegel. Sechs Scheinwerfer blendeten ihn. Zwei viereckige unten und vier runde oben auf dem Führerhaus. Er klappte die Zigarettenschachtel auf und ließ das Fenster etwa drei Zentimeter herunter. Die kalte Dezemberluft kühlte sein Gesicht. Er war vor fast 19  Stunden in Litauen losgefahren und hatte unterwegs nur selten Pause gemacht. Sechs Mal. Sieben, wenn er eine Pinkelpause von einer Minute mitzählte. Er hätte lieber
eine
lange Pause gemacht, aber der Alte in Vilnius hatte ihm eingeschärft, dass der Wagen nie länger als zehn Minuten am Stück stehen sollte. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Bernandas zündete die Zigarette an. Nahm einen tiefen Zug und spürte die wohltuende Wirkung des Nikotins. Zog noch einmal und beobachtete, wie sich die Glut ein paar Millimeter durch das Papier fraß. Ließ das Fenster noch ein kleines Stück hinunter und blies den Rauch in den kalten Winter.
    Die Fahrertür des Lastwagens fiel laut ins Schloss. Bernandas zuckte zusammen. Der andere Fahrer warf einen langen Schatten auf den Boden vor dem Transporter. Bernandas nahm noch einen Zug und versuchte, den anderen im Außenspiegel zu verfolgen. Der Mann verschwand aus seinem Blickfeld. Um ihn durch das andere Fenster sehen zu können, lehnte Bernandas sich auf die Beifahrerseite. Da. Der Mann verschwand zwischen ein paar schneebedeckten Büschen.
    Bernandas sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Zwölf Minuten nach Mitternacht. Noch waren von seiner Pause ein paar Minuten übrig.
    Um keine Aufmerksamkeit zu erregen
, dachte Bernandas. Doskino musste verdammt paranoid sein. Dennoch traute er sich nicht, längere Pausen zu machen. Er konnte nicht ausschließen, dass sie den Wagen mit einem hochmodernen Ortungs- und Abhörsystem ausgestattet hatten. Bernandas musste lächeln. Die Paranoia hatte offensichtlich auch von ihm Besitz ergriffen.
    Außerdem hatte man ihm unmissverständlich nahegelegt, dass er bei der Fracht nichts zu suchen hatte. Dass es für ihn das Beste wäre, wenn er sich nur im vorderen Bereich aufhielte und den Laderaum des vier Jahre alten VW Caravelle gar nicht erst betrat. Eine Wand mit einem kleinen Plastikfenster trennte die drei Vordersitze vom Laderaum. Hinter der Scheibe hing eine kleine Gardine, die die Sicht versperrte.
    Der Lastwagenfahrer kam zurück. Kletterte ins Führerhaus. Der schwerbeladene Laster benötigte den gesamten Rastplatz, um genügend Fahrt aufzunehmen und sich auf der Autobahn in die rechte Spur einzureihen. Er donnerte an Bernandas vorbei, als hätte der Fahrer ihn nicht einmal bemerkt. Als existierte der rote Caravelle nicht.
    Bernandas griff in eine Tüte mit Süßigkeiten, die er sich an einer Tankstelle in Flensburg gekauft hatte. Die ersten drei Stückchen waren lecker gewesen, jetzt schmeckten alle gleich, ob salzige Lakritze oder süßes Weingummi. Er hatte die Süßigkeiten ohnehin nur gekauft, um sich noch ein paar Stunden wach zu halten, dazu ein paar Dosen Red Bull. Er nahm einen großen Schluck von dem künstlichen Getränk und aß vier Lakritzstückchen aus der Tüte. Dann schnappte er sich seinen Rucksack,

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