Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
draußen gehen, ohne verhaftet zu werden?“, scherzte Hell.
„ Ja, können Sie. Ich darf Sie nur nicht begleiten. Uns ist es nicht erlaubt das Gelände zu verlassen während des Dienstes. Sie wissen ja, die Kameras.“
Er lachte, zwinkerte mit dem linken Auge und hielt Hell die Hand hin. Der schlug ein.
Es war mittlerweile halb neun. Hell schritt den Zaun ab, der das UN-Gelä nde umgab, und betrachtete die Neugebaute International School. Jemand musste auch dort fragen, ob es Sicherheitsmitarbeiter gab oder vielleicht sogar eine Videoaufzeichnung. Je näher er dem Ort am Rhein kam, desto trüber wurde seine Stimmung. Er hatte ein paar Minuten Ermittlungsarbeit machen können. Wenn er wieder dort unten am Rhein angekommen war, dann war er wieder der leitende Ermittler. Diese klischeemäßigen Rollen, Hauptkommissar und Kommissar, waren reiner Blödsinn aus den Fernsehserien.
Die Teams bildeten sich unabhä ngig vom Rang. Es gab immer einen, der entschied und man hatte immer einen Dienststellenleiter oder Dienstgruppenleiter, der Verantwortung trug und Entscheidungen traf.
Hell war mü de, er war erschöpft. Sein Kopf war voller Sorgen. Sein Sohn Christoph würde in ein paar Tagen wieder die Entzugsklinik besuchen. Er war guter Dinge, es ging ihm gut. Trotzdem hatte Hell immer noch dieses schlechte Gefühl im Magen. Er hatte es schon mehrfach erlebt. Danach. Zuerst Euphorie, dann kam langsam und schleichend der Rückfall. Davor hatte er Angst.
Doktor Leck hatte ihnen sehr zur Seite gestanden. Sie hatte zusammen mit dem Vater und dem Sohn Gesprä che geführt. Doch konnte sie nicht ständig von Frankfurt nach Bonn pendeln wegen dieser Vater-Sohn-Geschichte. Das tat sie nur aus Sympathie zu Hell, und der wusste das.
Wendt holte ihn aus seinen Gedanken. „ Doktor Beisiegel hat die Leichen untersucht. Sie können jetzt abtransportiert werden.“
Hell brummte seine Zustimmung. Meinhold kam mit verfrorenem Gesicht auf ihn zu. Sie zog mit der Linken ihre n Rollkragen hoch.
„ War etwas Brauchbares dabei?“
Hell wusste eine Sekunde lang nicht, was sie meinte. Dann besann er sich.
„Ja, wir haben die Bänder durchgeschaut. Ich habe Material für die KTU. Vielleicht können die etwas herausarbeiten. Es gibt einen verdächtigen LKW und einen Golf, die zur gleichen Zeit ankamen, aber nicht zusammen abfuhren.“
„ Gut. Klingt nach einem Schritt vorwärts. Die Vermisstendatenbank hatte keine Treffer. Es werden nirgendwo drei Asiatinnen vermisst gemeldet. Werden wir hier noch alle gebraucht?“
„ Nein“, sagte Hell, der schon wieder abwesend seinen Blick auf den Rhein gerichtet hatte.
*
Der Kopf der Frau lag auf einer Nackenstütze aus Edelstahl. Doktor Stephanie Beisiegel drehte den Kopf zu Seite und begutachtete den Bereich des Einschussloches. Es gab Schmauchspuren. Pulverrückstände. Also war der Schuss vielleicht sogar aufgesetzt gewesen. Sie zog mit der Pinzette ein Büschel verkrustete Haare aus der Wunde. Sicher waren die Haare nach dem Tode der Frau bei dem Transport in die Wunde geraten. Sie drehte den Kopf wieder gerade und versuchte den Mund der Toten zu öffnen. Doktor Beisiegel war seit fünfzehn Jahren Gerichtsmedizinerin und sie war vieles gewöhnt. Doch so, wie diese Frauen zugerichtet waren, das hatte sie noch nicht erlebt. Jetzt, auf dem Sektionstisch sah es schlimmer aus, als an dem Fundort am Rhein.
Der Tä ter hatte höchstwahrscheinlich mit einem Messer am Haaransatz einen langen Schnitt gemacht, die Haut mit dem Messer weiter gelöst und dann mit einem Ruck vom Gesicht gerissen. Es fehlten die Lider, die Nase, die Lippen und die Wangenhaut. Dort wo, sich die Haut nicht direkt gelöst hatte, hatte er grobe Schnitte gesetzt. So waren auch die Gesichtsmuskeln verletzt worden. Die Augen der Toten starrten ohne Halt. Sie begannen, schon zu trocknen.
Die Doktorin hatte schon folgenschwere Verletzungen durch Stü rze oder stumpfe Gewalt erlebt, auch wirklich böse Schussverletzungen im Gesicht. Aber so eine Brutalität war ihr noch nicht auf den Sektionstisch gekommen. Sie sprach ihre Beobachtungen in ihr kleines Diktiergerät. Ihre Stimme war klein, dünn und zaghaft. Nicht wie sonst, klar und prägnant. Als könne sie mit der leisen Stimme die Dinge weniger grausam werden lassen.
Sie mutmaß te, dass die Kugel noch im Kopf stecken musste, es gab keine Austrittsstelle. Weder im Gesicht, noch am Gaumen, auch waren die Zähne unverletzt. Was ebenfalls darauf schließen
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