Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
ließ. Zehn Minuten später fand sie ihre Vermutung bestätigt. Sie klemmte das Röntgenbild fest und schaltete das Licht an. Die Kugel saß unmittelbar hinter der Stirn. Dem Anschein nach war es eine kleinkalibrige Waffe, mit der geschossen wurde. Sonst hätte die Kugel die Stirn durchschlagen. Sie musste sie entfernen und den Ballistikern übergeben. Doch wollte sie erst mit der Untersuchung der Toten fertig sein, bevor sie die Kugel herausoperierte.
Ihr Blick fiel auf die beiden anderen Tische. Dort warteten die beiden anderen Asiatinnen. Dasselbe Leid, derselbe To d. Grauen. Sinnlosigkeit.
Kapitel 3
Als sein Vater starb, war Hell noch ein junger Mann gewesen. Vielleicht hatte er sich deshalb oft so gefü hlt, wie man sich fühlt, wenn man sich im Wald verirrt hatte. Hilflos. Orientierungslos.
Er konnte nie seinen Vater um Rat in Erziehungsdingen fragen. Christoph hatte nie seinen Groß vater kennengelernt. Großväter waren manchmal die besseren Väter. Seine Großmutter mochte ihn und er mochte sie. Aber erschöpfte sich ihr Anteil an der Erziehung ihres Enkels in den Worten, ‚ihr werdet mal einen tollen Sohn haben‘. Hier war noch zu ermitteln, ob sie irgendwann einmal der Weitsicht überführt würde.
Da waren noch die Eltern von Christophs Mutter, Hell ‘s Exfrau. Die jedoch hatten mit ihrem Enkel nur mäßigen Kontakt. Aus einem nicht erklärbaren Grund hatte Christoph immer geschrien wie am Spies, sobald er die Eltern seiner Mutter sah. Das hörte erst auf, als er drei oder vier Jahre alt war, bis dahin hatte sich aber auf beiden Seiten die Ablehnung so manifestiert, dass sie unauslöschlich war.
Hell saß in seinem Büro und dachte über die Worte von Doktor Leck nach. „Sie müssen mit ihrem Sohn Gemeinsamkeiten schaffen. Fahren Sie zusammen in Urlaub. Auch wenn es nicht lange ist. Das hilft Ihnen, ihr Verhältnis zu normalisieren.“
Er war ü berfordert. Wo um Himmels willen sollte er mit seinem Sohn Urlaub machen? War das nicht jetzt viel zu überstürzt? Ohne wirklich eine Idee zu haben, durchsuchte Hell die Angebote der Reiseportale. Der Kriminalhauptkommissar wurde im Dezember zweiundfünfzig Jahre alt. Sein Sohn war über dreißig Jahre jünger. Gab es da Schnittmengen bei der Auswahl von gemeinsamen Reiseinteressen? Oder war das einfach total egal? Der Weg war das Ziel.
Es war ihm nicht wirklich unangenehm, als Wendt in sein Büro kam. So konnte er die Gedanken beiseiteschieben. Für eine Weile. Schließlich hatte das Team einen neuen Fall vor der Brust.
„ Ich habe mit der Doktorin aus Frankfurt gesprochen. Die plastische Forensikerin wissen Sie?“
„ Und?“ Hell blickte über den Rand seines Laptops zu Wendt hinüber.
Wendt setzte sich Hell gegenü ber.
„ Sie sagt, dass sie auf der Durchreise nach Hamburg für ein paar Stunden bei uns Halt machen könnte. Doktor Beisiegel würde sich sicher freuen über diese Unterstützung.“
„ Was nutzt uns die Frau auf der Durchreise?“, fragte er angefressen, „Dann kann sie auch gleich durchreisen. Wir brauchen jemand, der uns hier hilft. Nicht mal eben seine Duftmarke hinterlässt.“ Er stand auf und ging um seinen Tisch herum.
„ Naja, Chef. Vielleicht kann sie uns trotzdem helfen.“ Wendt war verwundert über die brüske Reaktion von Hell.
„ Ach, Wendt, ist nichts gegen Sie“, sagte Hell, „Ich bin im Moment etwas gereizt. Schauen wir, was die Dame uns sagen kann. Sie haben Recht. Entschuldigung.“
Er legte kurz die Hand auf die Schulter seines Kollegen. Wendt fabrizierte ein zustimmendes Brummen und war verwundert ü ber die vertraute Geste seines Chefs.
Klauk rief an. Er war in der KTU. Gerade war dort die DVD mit den Aufzei chnungen von der UN untersucht worden. Es gab eine erste Spur. Auf der Plane des LKW war eine verblasste Inschrift zu lesen. Die Videobearbeitung der KTU hatte es möglich gemacht. Es stand Verzinkerei Schröder darauf. Klauks folgende Internetrecherche und einige Anrufe bei der Polizei hatte ergeben, dass der LKW vom Hof einer Firma aus der Gegend von Stuttgart gestohlen worden war. Schon vor zwei Monaten. Seitdem war er nirgends mehr aufgetaucht. Bis letzte Nacht.
Hell ordnete eine erste Dienstbesprechung zusammen mit Staatsanwalt Gauernack und Doktor Beisiegel für den frühen Nachmittag an. Bis dahin nahm er sich frei. Ihm war bewusst, er sollte sehr schnell wieder in die Spur kommen. Seine Laune und seine abschweifenden Gedanken waren nicht gut.
Er ging in die Stadt, bummelte
Weitere Kostenlose Bücher