Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
verlassen. Er rannte. Beim Laufen verlor er seine Taschenlampe. Das kümmerte ihn nicht weiter. Er rannte die Böschung hinunter, zog den Hund dicht neben sich her. Er wollte nur weg. Erst als er fast fünfzig Meter zwischen sich und die Stelle gebracht hatte, hielt er japsend an. Er zog sein Handy mit zitterigen Händen aus der Tasche und wählte den Notruf.
Eine Stimme am Telefon antwortete, doch er war erst gar nicht in der Lage zu schildern, was er eben gesehen hatte.
„Hände, Tote ohne Gesicht, am Rhein, am Rhein. Der Hund …!“ Der Mann stotterte mit gebrochener Stimme.
„ Ich kann sie gar nicht gut verstehen. Beruhigen Sie sich doch erst einmal. Wo sind Sie?“ sagte die Stimme am Telefon.
Er versuchte es erneut. Die Stimme war immer noch gebrochen, doch konnte er der Polizistin mitteilen, wo er sich befand, und was er gese hen hatte.
Die Besatzung eines Streifenwagens fand eine Viertelstunde spä ter am Rhein einen Mann vor, der immer noch unter Schock stand. Er führte sie zu der Stelle, wo er die Toten gefunden hatte. Die Beamten versicherten sich, dass er sich keinen Scherz mit der Polizei erlaubt hatte. Mit bleichen Gesichtern riefen sie im Präsidium an und meldeten den Fund von drei verstümmelten Leichen.
Sorgsam sperrten sie den Fundort mit Flatterband ab. Einer der Beamten nahm die Personalien des Mannes auf. Er sollte sich zeit seines Lebens immer an diesen Morgen erinnern. Vorsorglich rief der Beamte einen Krankenwagen für den Mann. Der protestierte zwar, hatte aber weiter keine Chance, als der Sanitäter ihn erst einmal untersucht hatte. Helmut Klein hatte einen Schock erlitten.
Nach der Untersuchung hatte er seine Frau benachrichtigt. Sie war sehr besorgt um ihren Mann. Er ersparte es sich, ihr die nä heren Umstände um seinen Zustand zu schildern. Das würde er später tun. Die Ehefrau würde direkt ins Krankenhaus kommen. Der Hund Bilbo fuhr stolz mit auf dem Beifahrersitz des Krankenwagens.
Kapitel 2
Es war sechs Uhr dreiß ig an einem Freitag. Kriminalhauptkommissar Oliver Hell stand noch unter der Dusche, als das Telefon klingelte. Er hörte es nicht. Seine Kollegin Meinhold sprach ihm auf die Mailbox. Sie machte es dringend, und nannte ihm den Ort, an dem sie sich treffen würden.
Es war eine Dreiviertelstunde spä ter, als Hell durch die Kennedyallee fuhr. Neben der alten Kirche der Methodisten bog er links ab. In dieser Straße gab es die Vereinten Nationen, und die International School. Er fuhr langsam die Straße entlang. Am Eingang zum Gelände der Vereinten Nationen standen einige Sicherheitsmitarbeiter vor der Schranke. Sie musterten den langsam vorbeifahrenden Wagen argwöhnisch. Hell beachtete sie nicht weiter. Es hatte schon recht aufgeklart, der Nebel hatte sich verzogen. Doch kannte er sich hier nicht gut aus. Daher konzentrierte er sich auf die Straße.
Hinter d em UN-Gelände bog er rechts ab, und fuhr über den Parkplatz der International School. Am Ende gab es einen kleinen öffentlichen Parkplatz. Dort stellte er seinen Mercedes ab, und wartete auf Meinhold.
Er bemerkte, dass er mit seinen Backenmuskeln spielte. Seitdem er das Rauchen drangegeben hatte, beobachtete er das öfter an sich. Dabei zogen sich seine Mundwinkel nach unten, was ihm oft einen mürrischen Ausdruck verlieh. Dabei war er mit seiner Entscheidung eigentlich zufrieden. Gut, er hatte einige Kilo zugenommen und er aß oft Süßigkeiten als Ersatz. Aber er hatte seit Jahren endlich wieder das Gefühl, Speisen hätten einen unterschiedlichen Geschmack. Er nahm ein Kaugummi aus dem Päckchen und steckte es sich in den Mund.
Meinhold winkte ihm zu. Hell verließ das Auto und ging auf sie zu. Die Blinker flackerten drei Mal.
„ Chef, ich hoffe, Sie haben noch nicht gefrühstückt. Es ist schlimm“, sagte sie, und Hell bemerkte, wie furchtbar blass sie war.
„ Um was geht’s?“
„ Machen Sie sich selber ein Bild, bitte. Ich habe so etwas in meinem Leben noch nicht gesehen.“
Meinhold war nach ihrer schlimmen Verletzung wieder komplett hergestellt. Sie hatte nur eine gut verheilte Narbe, die noch etwas rosa war und auch leicht schmerzte, wenn man darauf drückte. Aber ihre Seele war noch nicht verheilt. Sie ging einmal in der Woche zum Polizeipsychologen. Keiner der Kollegen wusste das, nur Hell hatte sie eingeweiht.
Sie gingen schweigend auf dem Radweg entlang. Die Kollegen der KTU waren schon an der Arbeit. Ihre weißen Schutzanzüge leuchteten zwischen den Büschen hervor. Sie
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