Oper und Drama
weit zu deuten, daß es des lebhaft wechselnden individuellen Ausdruckes fähig wurde, dies war die Aufgabe und das Werk jener Komponisten, wie es sich in ihrer Behandlung des sogenannten dramatisch-musikalischen Ensembles darstellt. Die wesentliche musikalische Essenz dieses Ensembles blieben in Wahrheit immer nur Arie, Rezitativ und Tanzweise: nur mußte, wenn einmal in Arie und Rezitativ ein der Textunterlage entsprechender Gesangsausdruck als schickliches Erfordernis erkannt worden war, folgerichtig die Wahrheit dieses Ausdruckes auch auf alles das ausgedehnt werden, was in dieser Textunterlage sich von dramatischem Zusammenhang vorfand. Dem redlichen Bemühen, dieser notwendigen Konsequenz zu entsprechen, entsprang die Erweiterung der älteren musikalischen Formen in der Oper, wie wir sie in den ernsten Opern Cherubinis, Mehuls und Spontinis antreffen: wir können sagen, in diesen Werken ist das erfüllt, was Gluck wollte oder wollen konnte, ja, es ist in ihnen ein für allemal das erreicht, was auf der ursprünglichen Grundlage der Oper sich Natürliches, d. h. im besten Sinne Folgerichtiges, entwickeln konnte.
Der jüngste jener drei Meister, Spontini , war auch so vollkommen überzeugt, das höchste Erreichbare im Genre der Oper wirklich erreicht zu haben; er hatte einen so festen Glauben an die Unmöglichkeit, seine Leistungen irgendwie überboten zu sehen, daß er in allen seinen späteren Kunstproduktionen, die er den Werken aus seiner großen Pariser Epoche folgen ließ, nie auch nur den mindesten Versuch machte, in Form und Bedeutung über den Standpunkt, den er in diesen Werken einnahm, hinauszugehen. Er sträubte sich hartnäckig, die spätere sogenannte romantische Entwickelung der Oper für irgend etwas anderes als einen offenbaren Verfall der Oper anzuerkennen, so daß er denjenigen, denen er sich seitdem hierüber mitteilte, den Eindruck eines bis zum Wahnsinn für sich und seine Werke Eingenommenen machen mußte, während er eigentlich doch nur eine Überzeugung aussprach, der in Wahrheit eine kerngesunde Ansicht vom Wesen der Oper sehr wohl zugrunde lag. Spontini konnte, beim Überblick des Gebarens der modernen Oper, mit vollstem Rechte fragen: »Habt ihr die wesentliche Form der musikalischen Opernbestandteile irgendwie weiter entwickelt, als ihr sie bei mir vorfindet? Oder habt ihr etwa gar irgend etwas Verständliches oder Gesundes zustande bringen können mit wirklicher Übergehung dieser Form? Ist nicht alles Ungenießbare in euren Arbeiten nur ein Resultat eures Heraustretens aus dieser Form, und habt ihr alles Genießbare nicht nur innerhalb dieser Formen hervorbringen können? Wo besteht diese Form nun großartiger, breiter und umfangreicher als in meinen drei großen Pariser Opern? Wer aber will mir sagen, daß er diese Form mit glühenderem, gefühlvollerem und energischerem Inhalte erfüllt habe als ich?« –
Es dürfte schwer sein, Spontini auf diese Fragen eine Antwort zu geben, die ihn verwirren müßte; jedenfalls noch schwerer, ihm zu beweisen, daß er wahnsinnig sei, wenn er uns für wahnsinnig hält. Aus Spontini spricht die ehrliche, überzeugte Stimme des absoluten Musikers, der da zu erkennen gibt: »Wenn der Musiker für sich , als Anordner der Oper, das Drama zustande bringen will, so kann er, ohne sein gänzliches Unvermögen hierzu darzulegen, nicht einen Schritt weiter gehen, als ich gegangen bin.« Hierin liegt aber unwillkürlich des weiteren die Aufforderung ausgesprochen: »Wollt ihr mehr , so müßt ihr euch nicht an den Musiker, sondern – an den Dichter wenden.« –
Wie verhielt sich nun zu Spontini und dessen Genossen dieser Dichter? Bei allem Heranwachsen der musikalischen Opernform, bei aller Entwickelung der in ihr enthaltenen Ausdrucksfähigkeit, veränderte die Stellung des Dichters sich doch nicht im mindesten. Er blieb immer der Bereiter von Unterlagen für die ganz selbständigen Experimente des Komponisten. Fühlte dieser, durch gewonnene Erfolge, sein Vermögen zu freierer Bewegung innerhalb seiner Formen wachsen, so gab er dadurch dem Dichter nur auf, ihn mit weniger Befangenheit und Ängstlichkeit bei Zuführung des Stoffes zu bedienen; er rief ihm gleichsam zu: »Sieh, was ich vermag! Geniere dich nun nicht; vertraue meiner Tätigkeit, auch deine gewagtesten dramatischen Kombinationen mit Haut und Haar in Musik aufzulösen!« – So ward der Dichter vom Musiker nur mit fortgerissen; er durfte sich schämen, seinem Herren hölzerne
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