Oper und Drama
entstellte Verhältnis durch alle Bemühungen, es zu berichtigen, nur immer noch mehr verwirrt werden konnte. –
Der dramatischen Kantate wurde, durch das luxuriöse Verlangen der vornehmen Herren nach Abwechselung im Vergnügen, das Ballett hinzugefügt. Der Tanz und die Tanzweise, ganz so willkürlich dem Volkstanze und der Volkstanzweise entnommen und nachgebildet, wie die Opernarie es dem Volksliede war, trat mit der spröden Unvermischungsfähigkeit alles Unnatürlichen zu der Wirksamkeit des Sängers hinzu, und dem Dichter entstand, bei solcher Häufung des innerlich gänzlich Zusammenhangslosen, natürlich die Aufgabe, die Kundgebungen der vor ihm ausgelegten Kunstfertigkeiten zu einem irgendwie gefügten Zusammenhange zu verbinden. Ein immer mehr als notwendig sich herausstellender dramatischer Zusammenhang verband nun unter des Dichters Hülfe das , was an sich eigentlich nach gar keinem Zusammenhange verlangte, so daß die Absicht des Dramas – von äußerlicher Not gedrungen – nur angegeben , keineswegs aber aufgenommen wurde. Gesangs- und Tanzweise standen in vollster, kältester Einsamkeit nebeneinander zur Schaustellung der Geschicklichkeit des Sängers oder des Tänzers, nur in dem, was sie zur Not verbinden sollte, in dem musikalisch rezitierten Dialoge, übte der Dichter seine untergeordnete Wirksamkeit aus, machte das Drama sich irgendwie bemerklich.
Auch das Rezitativ ist keineswegs aus einem wirklichen Drange zum Drama in der Oper, etwa als eine neue Erfindung hervorgegangen: lange bevor man diese redende Gesangsweise in die Oper einführte, hat sich die christliche Kirche zur gottesdienstlichen Rezitation biblischer Stellen ihrer bedient. Der in diesen Rezitationen nach ritualischer Vorschrift bald stehend gewordene, banale, nur noch scheinbar, nicht aber wirklich mehr sprechende, mehr gleichgültig melodische als ausdrucksvoll redende Tonfall ging zunächst, mit wiederum nur musikalischer Willkür gemodelt und variiert, in die Oper über, so daß mit Arie, Tanzweise und Rezitativ der ganze Apparat des musikalischen Dramas – und zwar bis auf die neueste Oper dem Wesen nach unverändert – festgestellt war. Die dramatischen Pläne, die diesem Apparate untergelegt wurden, gewannen ebenfalls bald stereotypen Bestand; meistens der gänzlich mißverstandenen griechischen Mythologie und Heroenwelt entnommen, bildeten sie ein theatralisches Gerüst, dem alle Fähigkeit, Wärme und Teilnahme zu erwecken, vollständig abging, das dagegen die Eigenschaft besaß, sich zur Benutzung von jedem Komponisten nach Belieben herzugeben, wie denn auch die meisten dieser Texte von den verschiedensten Musikern wiederholt komponiert worden sind. –
Die so berühmt gewordene Revolution Glucks , die vielen Unkenntnisvollen als eine gänzliche Verdrehung der bis dahin üblichen Ansicht von dem Wesen der Oper zu Gehör gekommen ist, bestand nun in Wahrheit nur darin, daß der musikalische Komponist sich gegen die Willkür des Sängers empörte. Der Komponist, der nächst dem Sänger die Beachtung des Publikums besonders auf sich gezogen hatte, da er es war, der diesem immer neuen Stoff für seine Geschicklichkeit herbeischaffte, fühlte sich ganz in dem Grade von der Wirksamkeit dieses Sängers beeinträchtigt, als es ihm daran gelegen war, jenen Stoff nach eigener erfinderischer Phantasie zu gestalten, so daß auch sein Werk, und vielleicht endlich nur sein Werk dem Zuhörer sich vorstelle. Es standen dem Komponisten zur Erreichung seines ehrgeizigen Zieles zwei Wege offen: entweder den rein sinnlichen Inhalt der Arie, mit Benutzung aller zu Gebote stehenden und noch zu erfindenden musikalischen Hülfsmittel, bis zur höchsten, üppigsten Fülle zu entfalten oder – und dies ist der ernstere Weg, den wir für jetzt zu verfolgen haben – die Willkür im Vortrage dieser Arie dadurch zu beschränken, daß der Komponist der vorzutragenden Weise einen dem unterliegenden Worttexte entsprechenden Ausdruck zu geben suchte. Wenn diese Texte ihrer Natur nach als gefühlvolle Reden handelnder Personen gelten mußten, so war es von jeher gefühlvollen Sängern und Komponisten ganz von selbst auch schon beigekommen, ihre Virtuosität mit dem Gepräge der nötigen Wärme auszustatten, und Gluck war gewiß nicht der erste, der gefühlvolle Arien schrieb, noch seine Sänger die ersten, die solche mit Ausdruck vortrugen. Daß er aber die schickliche Notwendigkeit eines der Textunterlage entsprechenden Ausdruckes in Arie und
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