Oper und Drama
und das ist der Ernst meiner Absicht. Wem ich diesen Ernst durch das Umfassende meiner Darstellung mitzuteilen vermag, der wird mich für jenen Angriff nicht nur entschuldigen, sondern er wird auch begreifen, daß ich ihn weder aus Leichtsinn, noch weniger aber aus Neid unternommen habe; er wird mich auch darin rechtfertigen, daß ich bei der Darstellung des Widerlichen in unseren Kunsterscheinungen den Ernst vorübergehend mit der Heiterkeit der Ironie vertauschte, die uns ja einzig den Anblick des Widerwärtigen erträglich machen kann, während sie auf der anderen Seite immer noch am mindesten verletzt.
Selbst von jener künstlerischen Persönlichkeit hatte ich aber nur die Seite anzugreifen, mit der sie unseren öffentlichen Kunstzuständen zugekehrt ist: erst nachdem ich sie mir nur von dieser Seite her vor die Augen stellte, vermochte ich meinem Blicke, wie es hier nötig war, gänzlich die andere Seite zu verbergen mit der sie Beziehungen zugekehrt steht, in denen auch ich einst mit ihr mich berührte, die von der künstlerischen Öffentlichkeit aber so vollkommen abgewandt liegen, daß sie nicht vor diese zu ziehen sind – selbst wenn es mich fast dazu drängte, zu gestehen, wie auch ich mich einst irrte – ein Geständnis, das ich gern und unumwunden leiste, sobald ich mir meines Irrtums bewußt geworden bin.
Konnte ich mich nun hierbei vor meinem Gewissen rechtfertigen, so hatte ich die Einwürfe der Klugheit um so weniger zu beachten, als ich mir vollkommen darüber klar sein muß, daß ich von da an, wo ich in meinen künstlerischen Arbeiten die Richtung einschlug, die ich mit dem vorliegenden Buche als Schriftsteller vertrete, vor unseren öffentlichen Kunstzuständen in die Ächtung verfiel, in der ich mich heute politisch und künstlerisch zugleich befinde, und aus der ich ganz gewiß nicht als einzelner erlöst werden kann. –
Aber ein ganz anderer Vorwurf könnte mir noch von denen gemacht werden, die das, was ich angreife, in seiner Nichtigkeit für so ausgemacht halten, daß es sich nicht der Mühe eines so umständlichen Angriffes verlohne. Diese haben durchaus unrecht. Was sie wissen, wissen nur wenige; was diese wenigen aber wissen, das wollen wiederum die meisten von ihnen nicht wissen. Das Gefährlichste ist die Halbheit, die überall ausgebreitet ist, jedes Kunstschaffen und jedes Urteil befangen hält. Ich mußte mich aber im Besonderen scharf und bestimmt auch nach dieser Seite hin aussprechen, weil es mir eben nicht sowohl an dem Angriffe lag, als an dem Nachweise der künstlerischen Möglichkeiten, die sich deutlich erst darstellen können, wenn wir auf einen Boden treten, von dem die Halbheit gänzlich verjagt ist. Wer aber die künstlerische Erscheinung, die heutzutage den öffentlichen Geschmack beherrscht, für eine zufällige, zu übersehende , hält, der ist im Grunde ganz in demselben Irrtume befangen, aus welchem jene Erscheinung in Wahrheit sich herleitet – und dies eben zu zeigen, war die nächste Absicht meiner vorliegenden Arbeit, deren weitere Absicht von denen gar nicht gefaßt werden kann, die sich zuvor nicht über die Natur jenes Irrtumes vollständig aufgeklärt haben.
Hoffnung, so verstanden zu werden, wie ich es wünsche, habe ich nur bei denen, die den Mut haben, jedes Vorurteil zu brechen. Möge sie mir bei vielen erfüllt werden!
Zürich, im Januar 1851
Richard Wagner
Oper und Drama
Erster Teil
Einleitung
Keine Erscheinung kann ihrem Wesen nach eher vollständig begriffen werden, als bis sie selbst zur vollsten Tatsache geworden ist; ein Irrtum wird nicht eher gelöst, als bis alle Möglichkeiten seines Bestehens erschöpft, alle Wege, innerhalb dieses Bestehens zur Befriedigung des notwendigen Bedürfnisses zu gelangen, versucht und ausgemessen worden sind.
Als ein unnatürliches und nichtiges konnte uns das Wesen der Oper erst klar werden, als die Unnatur und Nichtigkeit in ihr zur offenbarsten und widerwärtigsten Erscheinung kam; der Irrtum, welcher der Entwickelung dieser musikalischen Kunstform zugrunde liegt, konnte uns erst einleuchten, als die edelsten Genies mit Aufwand ihrer ganzen künstlerischen Lebenskraft alle Gänge seines Labyrinthes durchforscht, nirgend aber den Ausweg, überall nur den Rückweg zum Ausgangspunkte des Irrtumes fanden – bis dieses Labyrinth endlich zum bergenden Narrenhause für allen Wahnsinn der Welt wurde.
Die Wirksamkeit der modernen Oper, in ihrer Stellung zur Öffentlichkeit, ist ehrliebenden Künstlern
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