Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
Vom Netzwerk:
daß daheim, im Stadtteil Hampstead, noch immer mein Zimmer für mich bereitstehe. Ich könne auch gerne ein zweites dazu haben. Ein Leben im Hotel, das sei doch kein Leben. Man brauche etwas Festes, sonst werde man verrückt. Meine Eltern sprachen deutsch mit mir. Die Mutter mit ihrem tschechischen, der Vater mit seinem wienerischen Akzent.
    »Ich brauche nichts Festes«, antwortete ich. »Alles Feste ist für mich bisher ein Horror gewesen. Gescheitert bin ich immer nur am Festen.« Sie gaben nicht auf. Ich sagte ihnen nicht, daß ich längst nach einer geeigneten Wohnung Ausschau hielt. Sie sollte nicht zu nahe an Hampstead liegen. Ich fand schließlich ein kleines Haus in Kensington. Es lag in einem schmalen, verwinkelten Seitengäßchen hinter der High Street. Die Straße war ruhig. Hätte ein Auto dort geparkt, hätte kein zweites vorbeifahren können. Das Häuschen hatte Wohnzimmer und Küche im Erdgeschoß, darüber zwei Schlafzimmer. Für mich reichte es. Mein Büro schlug ich im Wohnzimmer auf, das zweite Schlafzimmer war für Fred gedacht, oder als Gästezimmer. Fred hat das Haus nie betreten. An der Mauer neben der Eingangstür fand ich einmal eine Kreidezeichnung vor. Ein Gebirge, darüber die Sonne. Ich ließ die Zeichnung an der Mauer, bis der Regen sie abwusch. Vermutlich war sie von Fred. Ich wollte es glauben. Ich zahlte Alimente, ich zahlte immer noch für das Haus in der Talbot Road, aber ich hatte zu Heather und Fred keinen Kontakt. Bis Heather mich eines Tages anrief.
    »Ich will dir nur mitteilen, daß dein Sohn die High-School längst abgebrochen hat und heroinsüchtig ist.«
    Ich wollte Fred treffen. Aber Heather wußte nicht, wo er sich herumtrieb. Sie sagte: »Gelegentlich kommt er vorbei, um mich auszurauben.«
    Später erzählte sie mir, daß er sich, soweit sie herausfinden konnte, oft in der Walworth Road aufhalte. Ich fuhr mehrmals mit der Bakerloo Line zur Endstation Elephant & Castle. Nirgends sieht London so trostlos amerikanisch aus wie in Walworth. Ich lief die Walworth Road auf und ab, durchstreifte die Seitenstraßen, ging in die Pubs der East Street und in alle Fast Food Restaurants. Jeden Junkie, den ich traf, fragte ich nach Fred. Vergeblich. Einer saß zusammengesunken auf einer Parkbank. Er hatte ein grünes Spinnennetz ins Gesicht tätowiert. Er gab mir keine Antwort. Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Er sah mich nur mit müden, glasigen Augen an. Aber ich hatte den Eindruck, er verstand, was ich sagte, er kannte Fred. Eine Antwort war aus ihm nicht herauszubringen. Meine Suche blieb erfolglos.
    Ich rief Heather an. Sie nannte mir einen Termin, an dem Fred kommen werde. Zumindest habe er es versprochen. Sobald ich einträfe, werde sie fortgehen.
    In der Nacht vor diesem Treffen wachte ich jede Stunde auf. Ich war mir sicher, ich würde versagen. Ich wollte Fred Hilfe anbieten. Er sollte sich jederzeit an mich wenden können, auch wenn ihn vorläufig nur mein Geld interessierte. Ich würde es ihm geben. In Tagesrationen, damit ich mit ihm in Kontakt bliebe. Aber was sollte ich tun, wenn er mich zurückwies, mit mir gar nichts zu tun haben wollte? Ich überlegte mir, wie ich ihn an mich binden könnte, und kam auf keinen grünen Zweig. Um halb sieben Uhr in der Früh gab ich es auf, noch Schlaf zu finden. Ich ging ins Wohnzimmer hinab. Auf dem Bildschirm gab es nur mehr ein Thema: Der Golfkrieg war ausgebrochen.
    Drei Stunden später saß ich im Flugzeug nach Saudi-Arabien.
    Oft denk ich, er ist nur ausgegangen und wird wieder nach Hause gelangen. Als er tot war, wollte ich ihn keinen Augenblick mehr allein lassen, als könnte ich noch irgend etwas gutmachen. Er stand hinter mir. Ich spürte, wie er mich anblickte. Er hatte in Wien eine Wohnung im selben Haus wie ich. Ich hörte ihn die Wohnungstür aufsperren. Ich hörte, wie er in der Nacht mit Freunden heimkam. Ich lief hinaus ins Stiegenhaus, schlich leise die Treppen hinab, ganz langsam, bis das Ganglicht ausging. In der Dunkelheit stand ich vor seiner Wohnungstür und horchte. Ich sperrte auf, ich legte mich in sein Bett. Ich roch Fred an seinem Bettzeug. Ich stellte mir vor, wie er den Tod vor sich hatte und trotzdem bei der Kamera blieb. Er hat die Chance gehabt, zu entkommen. Die Menschen in den Logen und Galerien weiter oben starben ein wenig später als die im Parkett. Sie bewegten sich noch, da war unten schon alles still. Wenn er gleich geflüchtet wäre, er hätte es als einziger Kameramann

Weitere Kostenlose Bücher