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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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ob Sie das verstehen können. Ihm entging nichts. Er war sozusagen immer bei uns, in uns. Wenn er zu mir hersah, war es, als habe er meine Hintergedanken durchschaut. Ein kurzer Blick, und ich begann mich zu schämen. Dabei war sein Auge ganz ruhig. Es war das Drumherum. Das Zusammenspiel von Augenbrauen, Wimpern, Lidern und vielerlei Muskeln und Fältchen teilte alles viel schneller und direkter mit, als es Worte je vermocht hätten. Blitzartig zog sich da etwas zusammen – und jeder wußte, was es bedeutete. Seine Augen ermahnten und straften. Ein kurzer Blick, und die Ordnung war wiederhergestellt. Meistens reichte das. Nur bei Feilböck reichte es später nicht mehr. Aber Feilböck war von Anfang an unser schwarzes Schaf.
    Der Blick des Geringsten konnte auch ermutigen. Er besagte: »Was immer auch kommen mag, ich bin bei Dir. Auf mich kannst Du zählen bis ans Ende der Tage.«
    Gerade war man noch verzweifelt gewesen, hatte Scherereien mit der Polizei, mit Kollegen oder mit Passanten gehabt. Dann kam man in das Blickfeld des Geringsten, und alle diese persönlichen Wehwehchen und Kränkungen waren plötzlich lächerlich, gemessen an der gemeinsamen Aufgabe, die uns zusammenhielt.
    Als ich nach seiner Wiederkehr sein Vertrauen gewann, erzählte er mir von seiner Herkunft und Jugend. Das war meist zu später Nachtstunde in einer kleinen Wohnung in der Wohllebengasse. Er schenkte mir ein Glas Whisky ein, strich durch sein langes Haar und redete von früher. Er schrieb an einem Buch über sein Leben und seine Ideen.
    Kleine Ausschnitte las er mir vor. Das Manuskript muß es noch irgendwo geben. Sein Vater war ihm wichtig. Er erzählte mir dessen ganzes Leben, aber er mochte ihn nicht. Über seine Mutter habe ich nicht viel erfahren. Nur wenn er ihren Tod erwähnte, merkte ich, daß sie ihm alles war. Ich stellte ihm kaum Fragen, ich hörte zu. Wenn man ihn fragte, gab er oft keine Antwort. Jedenfalls keine hörbare. Das war von Anfang an so. Aber er stellte die Fragen selbst. Und wenn ich die Antwort nicht wußte, gab er sie mir.
    Sein Vater hatte nach langem Herumirren schließlich Arbeit als Lehrling in einer Werkstätte der österreichischen Post gefunden. Er reparierte Postautobusse und wurde von den anderen geohrfeigt. Nach einigen Jahren legte er die Gesellenprüfung ab. Nun werde alles anders, dachte er. Hatte er nicht erreicht, was er wollte? Er war in der Stadt und in einer sicheren Stellung untergekommen. Dennoch war ihm, als sei er ein Stück Dreck geblieben. Über ihm gab es eine unüberschaubare Hierarchie, die Kette hatte unendlich viele Glieder und Instanzen bis hinauf zum Generaldirektor. Unter ihm waren nur die verachteten Lehrbuben, die er nun so malträtieren durfte, wie er malträtiert worden war. Und das sollte es gewesen sein? Er wollte etwas Höheres werden und schrieb sich in einer Abendschule ein. Während seine Kollegen in Gasthäuser und Kinos gingen, saß er über seinen Büchern. In ungewöhnlich kurzer Zeit, in drei Jahren, erlangte er die Hochschulreife. Er wäre gerne das geworden, was ich bin, Ingenieur. Doch es gab keine Möglichkeiten, nach einem harten Arbeitstag sein Studium zu absolvieren. Es sah ganz so aus, als würde er knapp vor dem Ziel scheitern.
    »Und warum«, fragte mich der Geringste, »hat er es doch geschafft?« Ich zuckte mit den Achseln.
    »Es war der Krieg«, sagte er. »Der Krieg hat vielen Hoffnungslosen eine Chance gegeben, so auch meinem Vater.«
    Im damaligen Generalgouvernement, in der Nähe von Lublin, gab es eine Werkstätte der Deutschen Wehrmacht. Dorthin wurde der Vater des Geringsten eingezogen. Seine Untergebenen waren vor allem Polen, die in ihrer eigenen Heimat Fremdarbeiter genannt wurden. Er erwarb sich besondere Verdienste bei der Aufdeckung von Sabotageakten. Keine angefeilte Bremsleitung, kein durchlöcherter Simmerring, keine eingesägte Kurbelwelle blieb ihm verborgen. Reihenweise stellte er die Saboteure. Über jede neue Methode eines Anschlags auf Einrichtungen der Deutschen Wehrmacht verfaßte er genaue Beschreibungen mit Anleitungen, wie man sie am besten abwehren könne. Obwohl er die Berichte auf dem Dienstweg weiterzureichen hatte, versah er sie mit der Adresse: An den Herrn Generalgouverneur Hans Frank in der Königsburg zu Krakau. Er hatte von den rauschenden Festen gehört, die der Generalgouverneur in Krakau feierte, während in der Werkstätte von Lublin die wichtigsten Materialien ausgingen.
    »Davon redete er immer wieder«,

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