Optimum - Kalte Spuren
die Schachtel einfach heraus, riss die Folie ab und klappte sie auf.
»Danke«, meinte Nathan, schnappte sich die Schachtel und nahm gleich drei kleine Schoko-Muscheln aus der Verpackung.
»Keine Ursache, ich …« , begann Rica, als sie wieder Schritte auf dem Gang hörte. In der Erwartung, dass Eliza mit einem der Betreuer zurückkehrte, sah sie auf, den schuldbewussten Ausdruck schon auf dem Gesicht. Eine Erklärung, warum sie einen Jungen in ihr Zimmer gelassen hatte, lag ihr schon auf der Zunge.
Aber es war keiner der Betreuer.
Es war Robin.
Er wollte gerade durch die Tür treten, als er Nathan auf Ricas Bett entdeckte. Mit der Pralinenschachtel noch in der Hand. Robin hielt inne, als habe ihn ein Pferd getreten, starrte erst Nathan an, dann Rica.
»Hey«, begann Nathan, »ich bin Nathan.«
Robin erwiderte nichts. Er presste die Lippen aufeinander, drehte sich um und stapfte den Flur entlang in die Richtung, aus der er gerade gekommen war.
»Shit«, meinte Nathan. »War das dein Freund?«
»So was in der Art«, murmelte Rica und stand auf. »Ich laufe ihm besser nach. Und … sorry, aber vielleicht solltest du dir doch einen anderen Platz zum Sitzen suchen. Zumindest, bis ich das geklärt habe.«
»Schon okay«, erwiderte Nathan, legte die Pralinenschachtel weg und erhob sich. »Geh nur. Ich mache mich dann auch dünne.«
Rica schenkte ihm noch einen dankbaren Blick und lief dann Robin hinterher.
Kapitel vier
Piste
»Guten Morgen zusammen. Jetzt gibt es erst einmal ein schönes Frühstück, und dann geht es ab auf die Piste. Ich freue mich schon auf unseren ersten gemeinsamen Tag.« Herr Röhling sah unverschämt gut gelaunt aus an diesem trüben Morgen. Das Licht, das durch die Fenster in den Aufenthaltsraum fiel, war blassgrau und nicht sehr einladend. Außerdem war es viel zu früh. Die meisten Schüler hingen noch müde auf den Bänken, und Rica musste immer wieder gähnen. Es hatte eine Weile gebraucht, bis sie am Abend zuvor Robin davon hatte überzeugen können, dass Nathan wirklich keine Konkurrenz für ihn war.
Rica fragte sich, warum eigentlich nicht. Nathan sah gut aus, und er war witzig und Rica auf Anhieb sympathisch gewesen, aber irgendwie fühlte sie sich nicht mehr zu ihm hingezogen als zu einem guten Freund. Ganz im Gegensatz zu Eliza, die neben ihr am Frühstückstisch saß und nicht zu wissen schien, ob sie lieber Torben oder Nathan anhimmeln sollte. Rica wünschte, sie würde sich für Nathan entscheiden. Torben war seit den Ereignissen mit Jo ein wenig seltsam geworden.
Robin saß auf Ricas anderer Seite und schenkte Nathan ebenfalls ab und zu einen Blick. Nur waren diese eher abschätzend und nicht sehr freundlich. Nathan selbst kümmerte sich nicht darum. Er hockte Rica gegenüber, schaufelte mit glücklichem Gesichtsausdruck Müsli in sich hinein und versuchte gleichzeitig, Rica ein Ohr abzuquatschen.
»Du solltest dich mit dem da zusammentun«, meinte Rica und deutete in die Richtung von Herrn Röhling. »Der scheint genau so ein Frühaufsteher zu sein wie du.«
»Ich bin kein Frühaufsteher«, protestierte Nathan. »Aber in den Betten hier kann man ja wohl nicht länger als nötig schlafen. Außerdem will ich raus an die frische Luft. Ich hab mich schon ewig nicht mehr bewegt.«
»Du bist gestern Abend im Dunkeln hier hochgelaufen«, widersprach Eliza. »War das nicht Bewegung genug?«
»Das war gestern Abend. Heute ist heute.«
»Wenn die beiden jungen Damen und der Herr dort mir auch zuhören wollen?«, drang Herrn Röhlings Stimme in ihre Unterhaltung. »Dann könnten wir auch den Tagesablauf besprechen.«
Etwas schuldbewusst drehte sich Rica wieder zur Stirnseite des Tisches um, doch tatsächlich schien der Lehrer ihnen nicht richtig böse zu sein. Er zwinkerte Rica sogar zu, während er weitersprach, den Tagesablauf erklärte und ein wenig zum geplanten Wochenprogramm erzählte. Vielleicht werden diese Ferien ja gar nicht so schlimm, dachte Rica. Klingt nach guter Unterhaltung, Herr Röhling sieht nett aus, und ich brauche auch einfach mal eine Auszeit, um mein Hirn freizupusten.
Sie wandte sich Robin zu und lächelte ihn an. Erleichtert sah sie, wie er zurücklächelte.
»Ich bin noch nie Ski gefahren«, gestand sie ihm. »Ist das schwer?«
Robin grinste und schüttelte den Kopf. Nachdem er sich kurz versichert hatte, dass Herr Röhling nicht zu ihnen herübersah, wagte er es sogar, Rica einen Arm um die Schultern zu legen und sie kurz an sich zu ziehen.
Weitere Kostenlose Bücher