Ordnung ist nur das halbe Leben
Stunde nicht benutzt. Offensichtlich konnte sie sich mit Malte richtig unterhalten. Und sie hatte mich heute auch noch kein einziges Mal angefaucht.
Das war anders gewesen, als ich ihre Mutter dazu gebracht hatte, das Bauprojekt sausen zu lassen und einen Verein zu gründen, der diese Wiese nutzte, um Apfel- und Birnensaft und Pflaumenmus herzustellen. An einer Seite der Wiese hatte der Verein einen Garten angelegt, in dem Gemüse angebaut wurde, und zwar von Kindern und unter der Leitung von Kurt Engels, unserem Nachbarn. Er brachte ihnen alles bei, was er über den Anbau von Kartoffeln und Kohl und Gurken und Zucchini und Bohnen und Kürbis und Erdbeeren wusste. Und Cassidy und Sundance waren alles andere als begeistert gewesen, als sie verdonnert wurden, bei dem Projekt mitzumachen.
»Wie bescheuert ist das denn? So was habe ich doch wohl nicht nötig «, hatte Cassidy gemault.
Ihre Einstellung hatte sich schlagartig geändert, als sie Malte kennenlernte. Sundance war anfangs auch skeptisch, vor allem weil es naturgemäß lange dauert, bis aus einem Samenkorn etwas Essbares wird. Aber ihr Interesse war schnell geweckt, als Kurt Engels ihr und den anderen Kindern ein paar Möhren aus dem eigenen Garten zum Probieren gab.
»Die schmecken ja richtig gut!«, sagte sie erstaunt. »Ganz anders als sonst.«
Und als sie den ersten Apfelsaft pressten und abfüllten, war sie vor Stolz fast geplatzt. Außerdem hatte sie sich in Banjo verliebt, mit dem sie manchmal spazieren gehen durfte. Zum nächsten Geburtstag wünschte sie sich einen Hund.
»Cassy, los hilf mal mit!«, rief Sundance jetzt, und Cassidy und Malte kamen herüber und fingen an, die Kanister mit dem Apfelsaft aus dem Lieferwagen zum Verkaufsstand zu tragen.
»Der Reporter ist da«, rief meine Mutter und zeigte auf einen jungen Mann, der mitsamt einem großen Fotoapparat zu Uschi und mir herüberkam.
»Frau Reinhardt, Sie sind ja die Vorsitzende des Streuobstwiesenvereins. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Verein zu gründen?«, fragte der Reporter.
»Na ja«, fing sie langsam an und ich lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich finde, der wichtigste Rohstoff, in den wir investieren müssen, sind unsere Kinder«, sagte sie und räusperte sich. »Und Kinder brauchen die Natur, um glücklich zu sein. Um richtig Kind sein zu dürfen, müssen sie draußen sein, draußen spielen. Nur so können sie sich und die Welt begreifen und die Natur wertschätzen lernen …«
Ich wandte mich ab, sonst hätte ich jetzt lachen müssen. Den ganzen Sermon mit »Kinder müssen draußen spielen« hatte ich ihr erzählt, als ich versuchte, sie davon zu überzeugen, die Wiese so zu lassen, wie sie war. Ich erzählte ihr von den heimlichen Absprachen von Ilja mit einem gewissen Tom Küsters vom Bauaufsichtsamt.
»Ich kann es nicht beweisen, aber da sind sicher Bestechungsgelder geflossen«, verriet ich ihr. »Sonst hätte mein Kollege nicht weit im Voraus davon erfahren, dass die Umwandlung des Landschaftsschutzgebiets in Bauland genehmigt werden würde.«
Ich erzählte ihr von der Empörung der Vorbesitzer, unserer Nachbarn, die sich verständlicherweise betrogen fühlten. All das hörte sich Uschi Reinhardt schweigend an. Doch als ich anfing, ihr ganz ehrlich von den Treffen mit ihren Töchtern zu berichten, wurde sie unruhig. Trotzdem sagte ich ihr alles, was ich auf dem Herzen hatte.
»Natürlich bin ich keine Psychologin«, meinte ich vorsichtig, »und natürlich kenne ich Sie und Ihre Familie nicht gut genug, um mir wirklich ein Urteil erlauben zu können. Aber dass Ihre Töchter unglücklich sind, das ist nicht zu übersehen.«
Uschi Reinhardt war empört aufgesprungen und rausgelaufen, aber eine Woche später rief sie mich an und verkündete, dass sie es sich überlegt habe. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass Ilja sie sitzen gelassen hatte.
»Eine Frau mit Kindern, das sei zu viel für ihn, hat er gesagt. Dieser Lügner. Hat mich nur wegen meines Geldes um den Finger gewickelt. Na ja, aber das hat er jetzt davon«, erzählte sie mir und fügte nach einer Pause hinzu: »Ich habe den Hinweis mit der möglichen Bestechung weitergegeben. Der Staatsanwalt kümmert sich jetzt darum.«
Ich musste grinsen. Zacharias Höveler dürfte nicht erfreut sein, aber das war mir egal. Ich hatte bei der Höveler & Wulf Vermögensverwaltungs- AG gekündigt. Das Starren auf den Monitor, die Abhängigkeit von der Börse und ihren wahnwitzigen Kapriolen, die Verantwortung
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