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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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brauchst, die dich bekocht. Und weil ich bei dir ganz anders bin, als ich eigentlich wäre. Ich bin nicht ich selbst.«
    »Was erzählst du denn da für einen Müll? Haben dir das deine Eltern eingeredet?«
    »Nein«, sagte ich. »Stell dir vor, darauf bin ich ganz alleine gekommen. Und jetzt: Hau ab. Geh mir aus den Augen. Ich kann dich nicht mehr sehen.«
    »Ich gehe nicht«, sagte er und pflanzte sich vor mir auf. »Wenn du unbedingt willst, dann geh du doch.«
    »Du bist erbärmlich«, sagte ich, schnappte mir eine Tasche und ein paar Sachen und fuhr zu Ellen.
    Am nächsten Tag ging ich sehr früh ins Büro. Sören war schon da. Er schien mir noch bleicher als sonst zu sein. Vor ihm stand eine halb leere Schachtel Marshmallows. Es roch nach abgestandenem Kaffee.
    »Wie lange bist du denn schon wieder hier?«, fragte ich.
    Er glotzte mit fieberhaftem Blick auf die flackernden Monitore. »Die Börse schläft nie, das weißt du doch«, antwortete er aufgekratzt.
    »Aber du solltest mal schlafen. Du siehst schrecklich aus.«
    Er reagierte nicht darauf, weil sein It-all-started-with-a-big-bang-Jingle ertönte. Er klickte hektisch auf seiner Maus rum.
    Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und öffnete meine Computerprogramme. Aber es fiel mir sehr schwer, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Lieber hätte ich wieder aufs Meer geschaut. Die Taktung der Börse war einfach atemberaubend, die Möglichkeiten zu scheitern grandios, die nervliche Anspannung unmenschlich.
    In der Konferenz, bei der unser Chef auf den neuesten Stand gebracht wurde, erzählte Ilja arrogant von dem Bauprojekt, dem jetzt dank seines tatkräftigen Einsatzes nichts mehr im Wege stehen würde.
    »Der Bürgerverein hat eingesehen, dass der Bau eines Wohngebiets kein Anlass für Proteste ist!«, verkündete er.
    »Ein kräftiges Schulterklopfen für unseren besten Mitarbeiter«, sagte Höveler und klatschte. Die anderen fielen ein.
    »Wie läuft es denn sonst mit Uschi Reinhardt?«, fragte ich, als der Applaus verklungen war.
    »Wie meinst du das, Steckelbach?«
    »Na, eure private Beziehung.«
    »Sie haben eine private Beziehung mit ihr?«, fragte Höveler stirnrunzelnd.
    »Blödsinn. Da hast du was falsch verstanden, Steckelbach. Ich habe sie nur aus rein geschäftlichem Interesse bei manchen privaten Unternehmungen begleitet«, sagte Ilja, ohne mit der Wimper zu zucken. So, so.
    In der Mittagspause erledigte ich die Anrufe wegen der ausgefallenen Hochzeit. Ich telefonierte als Erstes mit meiner Kusine Anja, dann mit der Wolkenburg, dem Konditor, dem Floristen, und ich schrieb eine Rundmail an die Gäste. Und dann rief ich Uschi Reinhardt an und vereinbarte einen privaten Termin mit ihr.
    Zwei Wochen später hängte ich im Flur das Bild von der klumpfüßigen Möwe auf, das ich auf Sylt gekritzelt hatte. Ich hatte es in einen kleinen roten Holzrahmen gesteckt. Es war nicht schön, aber es gefiel mir trotzdem. Außerdem freute ich mich, dass niemand darüber motzen konnte, dass ich es aufhängte. Mit niemand meinte ich natürlich Jens.
    Er war vor einer Woche ausgezogen. Ich war so erleichtert gewesen, als hätte mir jemand eine Last von den Schultern genommen. Natürlich hatte ich auch ein paar Tage geheult, weil alles so anders gelaufen war, als ich es mir vorgestellt hatte, und ich mich so in ihm getäuscht hatte. Aber Ellen und Arne hatten mich getröstet. In der ersten Woche nach der Trennung hatte Jens noch in unserer Wohnung gewohnt, und ich hatte bei ihnen geschlafen. Das hatte mir sehr geholfen. Und als Jens vor Kurzem versucht hatte, mich bei Arne schlechtzumachen, hatte Arne ihm gesagt, er wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben. Gut, solche Freunde zu haben!
    Ich überlegte gerade, wie ich die Wohnung neu dekorieren könnte, da klingelte es.
    Hoffentlich ist es nicht Jens, der noch irgendwelche Sachen abholen will, dachte ich.
    Aber es war nicht Jens. Es war Lennart.

33
    Es war Samstag, der 21. Juli. Der Tag der Hochzeit.
    »Wann kommen sie denn endlich?«, fragte meine Mutter aufgeregt.
    Sie trug einen Hosenanzug aus dunkelgrünem Leinen. Ich hatte ihr geraten, die rot-weiße Bluse gegen ein cremefarbenes Seidenshirt einzutauschen. Mit ihren kastanienroten Haaren, die ihr viel besser standen als der Auberginefarbton, und dem leichten Make-up sah sie richtig salonfähig aus. Mein Vater hatte das gleiche Dandy-Outfit an wie bei der Hochzeit meiner Kusine Anja. Wir standen auf der Straße vor dem steinernen Portal der Wolkenburg, einem

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