Ordnung ist nur das halbe Leben
klebten mir die Klamotten am Leib, und ich freute mich auf die Dusche. Als ich, in ein Handtuch gewickelt, aus dem Badezimmer kam, stand er plötzlich vor mir.
»Ahh«, rief ich. »Mann, hast du mich erschreckt.«
»Hallo, Möhrchen«, sagte Jens begeistert. »Da bin ich endlich wieder!«
»Das sehe ich«, sagte ich angesäuert.
Er umarmte mich. Ich machte mich unwillkürlich steif. »Freust du dich denn gar nicht?«, fragte er irritiert.
»Doch, doch«, sagte ich hastig, dabei kam mir in dem Moment alles hoch. Nach dem ganzen Stress und der Fahrt und dem Ärger schneite er hier herein und dachte, ich würde ihm den roten Teppich ausrollen.
»Das solltest du auch. Ich war nämlich sehr erfolgreich in London.« Er strahlte mich gut gelaunt an. Seine Haare waren ein bisschen länger und mit Gel nach hinten gekämmt, und er hatte etwas abgenommen.
»Ich will mir erst einmal was anziehen«, sagte ich ausweichend. Ich musste mich sammeln, um gleich die richtigen Worte zu finden.
»Soll ich dir helfen?«, fragte er und machte Anstalten, mir hinterherzukommen, aber ich sagte bestimmt: »Lass mal – bin gleich wieder da.«
Ich ging schnell ins Bügelzimmer und war erleichtert, dass er mir nicht folgte. Das würde schwer werden. Er hatte ja noch gar keine Ahnung! Weder davon, dass ich von seiner Betrügermasche wusste, noch davon, dass ich ihn nicht heiraten würde. Aber plötzlich stellte ich fest, dass ich mich fast auf die Auseinandersetzung freute. Das war ja mal was ganz Neues. Ich hatte richtig Lust, ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht zu blasen.
»Sag mal, wie sieht es denn eigentlich hier aus?«, fragte er, als ich angezogen aus dem Bügelzimmer kam. Er strich über die Staubschicht auf der Kommode. »Das ist ja total dreckig hier, und es stinkt wie auf der Müllhalde.«
Oh Gott. Wie hatte ich das vergessen können? Seine penible, anmaßende Art, als wäre ich seine verdammte Putzfrau. Ich musste mich ziemlich zusammenreißen, um ihn nicht jetzt schon in Grund und Boden zu brüllen.
»Ja, stell dir vor, ich hatte auch viel zu tun und bin nicht zum Putzen gekommen«, sagte ich spitz.
»Sieht eher aus, als hättest du in der Sonne gelegen, so braun, wie du bist. Was hast du denn gemacht?«, fragte er und tarnte seinen Argwohn mit einem Lachen.
»Ach, das kommt nur von den Spaziergängen am Rhein. Mit Banjo«, schob ich hinterher. »Aber sag mir doch mal lieber, was du so gemacht hast. In den letzten zwei Wochen.«
»Ich war doch auf der Fortbil…«
»Die war vor zwei Wochen vorbei«, unterbrach ich schroff.
»Ich habe noch mein Praktikum in der Bank verlängert, um …«
»Hör auf damit, Jens«, sagte ich kampflustig. »Ich weiß von der alten Dame. Von Lore Fresen. Die hast du um zweitausend Euro erleichtert.«
»Woher weißt du das denn?«, fragte er verblüfft. »Hast du mir wieder hinterhergeschnüffelt?«
»Das war gar nicht nötig. Die Enkelin von Lore Fresen war hier. Sie hat in den Semesterferien ihre Oma besucht und herausgefunden, dass die einem fremden Mann Geld gegeben hat. Die Enkelin hat mich verdächtigt, mit dir unter einer Decke zu stecken, und mich erst verfolgt und mir später alles erzählt.«
»Damit eines mal ganz klar ist. Ich habe nichts Illegales gemacht«, sagte Jens selbstsicher. »Die Frauen haben mir ihr Geld völlig freiwillig gegeben. Sie haben es mir geradezu aufgedrängt .«
» Die Frauen?«, schnaubte ich. »Gab es etwa noch mehr?«
»Ja, sicher«, sagte er. »Die Kontaktanzeigenseiten sind voll von einsamen alten Damen, die für ein bisschen Aufmerksamkeit alles tun würden.«
Oh Gott! Es war ja noch schlimmer, als ich dachte. »Und was hast du ihnen dafür versprochen?«
»Nichts. Ich habe ihnen bei der einen oder anderen Behördensache oder bei Arztbesuchen geholfen.«
»Aber …«
»Diese Frauen sind einsam«, unterbrach er salbungsvoll. »Und ich habe ihnen Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt.«
»Aber niemand rückt freiwillig Geld raus«, konterte ich.
»Doch, Möhrchen«, sagte Jens. »Sie schenken es mir, weil sie mich klasse finden. Alte Ladys stehen auf mich. Sie haben keine Gesellschaft, aber Geld. Und da komme ich ins Spiel.« Er sagte das so begeistert wie ein Motivationstrainer, der mit geschickt vorgetragenen Plattitüden die Zuschauer in seinen Bann zog. »Ich gehe zu ihnen, schmeichele, höre zu, helfe bei Formularen oder beim Verstehen von Packungsbeilagen ihrer Medikamente. Ich begleite sie ins Theater oder gehe mit ihnen
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