Ordnung ist nur das halbe Leben
den Kunden gegenüber – das war nichts für mich.
Das Interview war beendet. Uschi Reinhardt atmete auf. »Ich hoffe, ich habe nicht allzu großen Blödsinn erzählt«, meinte sie.
»Das war bestimmt klasse«, munterte ich sie auf.
Der Fotograf machte noch einige Fotos, von den Kindern im Garten, von dem Baum mit dem Steinkauz, der sich aber nicht blicken ließ, und von Schäfer Uwe und seinen Schafen, die etwas abseits friedlich grasten. Kurt Engels und ein paar Kinder führten interessierte Besucher durch den Garten. Spaziergänger kauften den selbst gemachten Saft, Pflaumenmus, Schafskäse, Schafwolle und andere Produkte von der Schaffarm im Nachbarort.
»Aha, damit beschäftigen Sie sich jetzt also«, hörte ich plötzlich eine Stimme, die mir bekannt vorkam. Es war Zacharias Höveler. »Na ja. Einen grünen Daumen haben Sie ja. Schade, dass ich Sie nicht noch mal als Gärtnerin für die Bonsaipflege einstellen kann. Die Lärche macht mir zu schaffen. Ich glaube, sie geht vielleicht doch ein.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Wollen Sie sie sich nicht noch einmal anschauen?«
»Nein. Lieber nicht«, sagte ich.
»Was haben Sie denn jetzt vor?«
»Ich weiß es noch nicht genau. Ich mache erst einmal keine Pläne.«
Mein ehemaliger Chef guckte mich merkwürdig an, so als ob das eine unverzeihliche Sünde wäre.
»Ich habe aber schon ein paar Ideen«, sagte ich lächelnd. Aber die würde ich ihm natürlich nicht verraten.
Lennart hatte ein Angebot von einer Biotech-Firma in Irland, die Sprit aus Algen herstellen wollte. Er hatte mich gefragt, ob ich mitkäme. Die Firma wollte übernächstes Jahr an die Börse gehen und brauchte Leute, die das koordinierten. Ich war noch nie in Irland, aber ich stellte es mir sehr schön vor.
Nach einer kurzen Ansprache von Uschi Reinhardt und Kurt Engels zu dem neu gegründeten Verein, sang der Kirchenchor ein paar rheinische Lieder. Anschließend bildeten die Mädchen des Turnvereins eine Formation und führten einen Tanz auf. Um die Bühne stand die Verwandtschaft mit leuchtenden Augen und klatschte begeistert.
Meine Mutter stellte sich neben mich. »Das haben wir doch wohl echt gut hingekriegt, meinst du nicht?«
»Doch, das haben wir.«
»Da siehst du. Man weiß nie, wofür es gut ist.«
In dem Moment stolperte mein Vater über den Rand des Bretterbodens. In dem Versuch, sich irgendwo abzufangen, riss er einen Korb mit Äpfeln um, die über den Tanzboden kullerten und die Mädchen aus dem Takt brachten. Mein Vater knallte der Länge nach hin. Die Mädchen kreischten auf, die Musik brach ab. Mein Vater lag da wie ein gestrandeter Wal.
»Achtung, Achtung«, rief er. »Hier sind einige Äpfel entlaufen! Bitte alle wieder einfangen!«
Die Kinder sammelten eifrig die Äpfel ein, und bei jedem Apfel, der in den Korb fiel, schrie mein Vater: »Treffer versenkt!«
Ich konnte kaum hingucken, so peinlich war er. Aber die andern Leute grinsten, und meine Mutter lachte auch schallend. Was für eine schwachsinnige Idee von mir, zu erwarten, dass Eltern perfekt sein müssen! Sie waren auch nur Menschen, die zufällig Kinder hatten. Und Menschen machten Fehler. Na gut, meine Eltern machten vielleicht ein bisschen mehr als andere, aber es waren ihre und nicht meine. Für meine Fehler war ich auch ganz alleine verantwortlich. Es war erstaunlich. Neunundzwanzig Jahre lang war ich so damit beschäftigt gewesen, anders zu sein als meine Eltern, dass ich überhaupt nicht gemerkt hatte, wer ich wirklich war. Ja, ich war das Kind meiner Eltern, ob ich wollte oder nicht. Aber über mein Leben bestimmte ich ganz allein. Und ich konnte damit machen, was ich wollte.
»Los, Puna Monday, hilf mir!«, rief mein Vater.
Ich verdrehte die Augen, doch dann reichte ich ihm die Hand und zog ihn hoch und lachte.
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