Orphan 1 Der Engel von Inveraray
wolle, sich diese Ausstellung entgehen lassen dürfe. Außerdem erwähnte er, der zurückgezogen lebende Künstler würde möglicherweise heute Abend hier erscheinen, was offenbar die Neugier der Leute geweckt hat." Seine Augen huschten aufgeregt umher. „Wissen Sie, ob Boulonnais hier ist?"
Haydon tat, als suche er nach ihm, und ließ den Blick durch den Raum schweifen, der mit elegant gekleideten Damen und Herren gefüllt war, die scherzten und Champagner tranken. „Meine Gattin und ich sind gerade erst gekommen, deshalb bin ich nicht sicher. Wenn er mir über den Weg läuft, lasse ich es Sie sofort wissen."
„Ich hoffe wirklich, dass er sich zu der Reise entschlossen hat. Wir haben bereits dreizehn der zwanzig Bilder verkauft - und der Abend hat eben erst begonnen! Der Duke of Argyll hat fünf von ihnen erworben, noch bevor wir sie von Inveraray hergebracht hatten.
Ich teilte ihm jedoch mit, sie müssten Teil der Ausstellung sein. Er war selbstverständlich damit einverstanden, schließlich wird die Schau den Wert der Bilder nur noch steigern."
Genevieve riss ungläubig die Augen auf. „Sie haben dreizehn Gemälde verkauft?"
„Und ich möchte Ihnen nicht verschweigen, dass wir die Preise nach der Lektüre von Mr. Chisholms begeistertem Artikel im Herald entsprechend angepasst haben", gestand Mr. Lytton verstohlen. „Die Provision Ihres Gatten wird noch höher sein als erwartet, Mrs. Blake, und natürlich wird auch sein Freund Boulonnais beträchtlich profitieren. Ich bin sicher, er wird so erfreut sein, dass er unserer Galerie auch weiterhin gestattet, seine Werke in Schottland auszustellen und zu veräußern."
Haydon lächelte. „Das wird er zweifellos tun, wenn er erfährt, wie begeistert seine Arbeit hier aufgenommen wurde."
„Hervorragend! Verzeihen Sie, doch Lord Hyslop gibt mir zu verstehen, dass er das Gemälde von dem Mädchen mit der Rose zu kaufen wünscht. Eine ausgezeichnete Arbeit, in der Tat. Wunderschön, und dennoch hat es etwas entsetzlich Melancholisches. Ich hätte mehr dafür verlangen sollen." Er seufzte voller Bedauern.
„Entschuldigen Sie mich." Er rückte seine Brille zurecht und bahnte sich einen Weg durch den Saal.
„Dreizehn Bilder", wiederholte Genevieve fassungslos.
Haydon nahm zwei Gläser von einem Silbertablett, das ein diensteifriger Kellner vorbeitrug. „Ein Schluck Champagner gefällig?"
Genevieve umklammerte den Stiel des Glases so fest, dass Haydon fürchtete, er könne brechen.
„Lassen Sie uns anstoßen", schlug er vor. „Auf den geheimnisvollen, scheuen Georges Boulonnais. Möge er noch lange Jahre fortfahren zu malen und die Kunstwelt mit seinen Werken zu erfreuen!" Er hob sein Glas, nahm einen Schluck und runzelte dann die Stirn. „Stimmt etwas nicht, Genevieve? Mögen Sie keinen Champagner?"
Sie schüttelte den Kopf, abgelenkt von all den lachenden Menschen um sie herum.
„Ich erinnere mich nicht mehr. Ich habe seit meiner Verlobung mit Charles keinen mehr getrunken, und das ist Jahre her."
„Sie werden feststellen, dass er viel besser schmeckt, wenn es etwas wirklich Schönes zu feiern gibt. Nicht, dass Ihre Verlobung mit Charles kein Grund zum Trinken gewesen wäre", fügte er trocken hinzu.
Sie warf ihm einen leicht empörten Blick zu und nippte dann vorsichtig an ihrem Champagner. Prickelnde kühle Perlen tanzten auf ihrer Zunge und kitzelten ihre Nase. Sie nahm einen weiteren kleinen Schluck, dann noch einen. Es war heiß in dem überfüllten Saal, und sie hatte mit einem Male entsetzlichen Durst. Ein weiterer Schluck, und ihr Glas war leer.
„Mehr?" fragte Haydon.
Sie nickte. „Ja, bitte."
Er besorgte ihr pflichtbewusst ein neues Glas. „Vielleicht sollten Sie dies hier ein wenig langsamer leeren", riet er. „Champagner trinkt sich leicht, steigt einem dann jedoch überraschend rasch zu Kopf."
„Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen", versicherte Genevieve, nahm einen weiteren Schluck und wandte sich ab, um eine Gruppe Besucher zu beobachten, die vor einem ihrer Bilder in ein angeregtes Gespräch vertieft waren.
Der Champagner und die in der Galerie herrschende Hitze hatten einen rosigen Schimmer auf ihre Wangen gezaubert, der einen entzückenden Kontrast zu ihrem milchweißen Hals und Dekolletee bildete. Sie ist mit Abstand die schönste Frau im Saal, erkannte Haydon. Die Tatsache, dass sie sich ihrer Wirkung auf fast jeden Mann, der sie anblickte, nicht einmal bewusst war, machte sie umso anziehender.
Haydon
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