Ostseegrab
schlafen. Wehr dich nicht dagegen. Schlaf. Schlaf einfach ein!«
Er war fast verzweifelter als sie. Sie hustete noch immer und in ihren Augen lag das blanke Entsetzen. Warum verstand sie denn nicht, dass sie ihr Schicksal annehmen musste? Es kostete ihn unendliche Kraft, seine Enttäuschung zu verbergen und sie anzulächeln. »Keine Angst, ich bringe dich nicht in dein nasses Grab zurück. Ich lege dich in den warmen Sand.« Das dumme Ding hatte gar nicht zugehört. Fast gelangweilt brachte er es zu Ende. Nach ein paar Minuten schnappte sie nur noch wie ein kleiner Fisch. Es war fast niedlich. Seine Laune besserte sich. Er formte mit seinem Mund ein Fischmaul und schnappte synchron mit. Einen Moment später war es vorbei. Sie rührte sich nicht mehr. Er beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und wartete noch ein paar Minuten, bevor er seine Hände löste. »Ausgeschnappt«, murmelte er und rieb sich die kalten Finger. Erschöpft stand er auf und streckte sich. Erledigt. Neugierig betrachtete er das Ergebnis. Sie sah einfach nur tot aus. Ohne große Lust nahm er den Fotoapparat und machte ein Bild. Und wenn es gar nicht stimmte? Wenn Ertrinken doch kein angenehmer Tod war? Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Gott, was für eine entsetzliche Vorstellung. Damit würde er nicht zurechtkommen. Er atmete tief durch. Wahrscheinlich war sie einfach nur das falsche Mädchen.
1
Freitag
Sophie Sturm stand mit den anderen Redakteuren und dem Chefredakteur der ›Stars & Style‹ im gläsernen Konferenzraum des Verlagshauses. Der Champagnerkorken knallte und die Gläser wurden vollgeschenkt.
»Auf Sophie!«, rief jemand.
Sophie nickte und hob ihr Glas. Ihre blonde Mähne war lässig zusammengebunden und ihre langen Beine steckten in einer Designerjeans. Über dem schlichten T-Shirt trug sie eine cremefarbene Chaneljacke. Sie wusste, dass sie gut aussah, doch sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Obwohl der Erfolg der neusten Ausgabe des Hochglanzmagazins allein auf ihr Konto ging, war sie nicht in Feierlaune. Natürlich war das Aufdecken von Geheimnissen der Stars und Sternchen das tägliche Brot einer Klatschredakteurin, doch dieses Mal hatte sie nicht professionell gearbeitet. Ihr Motiv war rein persönlich gewesen. Sophie blickte aus der riesigen Glasfront auf den Hamburger Hafen. Die Sonne glitzerte auf der Elbe und ein Containerfrachter machte sich, von Schleppern gezogen, auf in Richtung See.
»Sophie? Alles klar? Du guckst ja aus der Wäsche, als hätte ich dich gerade gefeuert«, scherzte ihr Chefredakteur. Die Kollegen kicherten und genehmigten sich noch ein Schlückchen. »Dabei bist du doch heute unser Star!« Feierlich wandte er sich wieder allen zu. »Leute, ich hab die neusten Verkaufszahlen. Pole Position! Diesmal haben wir die anderen Blätter weit abgehängt.«
Es wurde gejohlt und geklatscht. Sophie setzte ein Lächeln auf und schielte auf ihre Uhr. Eine Viertelstunde würde sie den Quatsch zwangsläufig noch mitmachen müssen, aber keine Minute länger.
»Auf Sophie! Und auf Felix van Hagen und sein kleines Geheimnis!«, riefen die Kollegen.
Das kleine Geheimnis war fünf Jahre alt und geheim war es seit heute nicht mehr, dafür hatte sie gesorgt. Der beliebte Showmaster hatte eine uneheliche Tochter. Nicht mal Boris Becker und die Wäschekammeraffäre hatten die Nation so empört. Van Hagen war seit zwölf Jahren mit einer hübschen Französin verheiratet und hatte zwei Kinder. Er präsentierte seine perfekte Familie gerne vor der Presse und gab sich als strenger Moralapostel, für den vor allem Treue und Familienglück zählten. Sophie fröstelte. Nun wusste jeder, wie verlogen er wirklich war. Die Enthüllungsstory war die Geschichte des Jahres. Auch wenn ihr Name nicht auftauchte, konnte Felix sich denken, dass sie für den Artikel verantwortlich war. Sophie nahm die Glückwünsche entgegen und versuchte gelassen zu wirken. Sie war froh, dass sie nicht allein war. Pelle wich nicht von ihrer Seite. Der braune Labrador verstand sie ohne Worte. Er gähnte mehrmals lang und ausgiebig, um ihr zu zeigen, dass er sich langweilte. Sophie zwinkerte ihm zu und gab ihm zu verstehen, dass sie nicht mehr lange bleiben würden. Plötzlich wurde wieder gejubelt. Die Boulevardnachrichten hatten die explosive Meldung natürlich zum Hauptthema gemacht. Felix’ Gesicht flimmerte über den Fernsehbildschirm. Sophie kannte es sehr gut. Sie hatte ihn geliebt. Aber wer liebte ihn nicht? Seine
Weitere Kostenlose Bücher