Pablo Picasso - die Lebensgeschichte
Erhabenheit hinsiechenden Frau, hinter der wie eine schwebende Krone ein goldener Barockspiegel an der karg getünchten Wand hängt?
Nun gut, in Paris war man an Bilder wie »Das blaue Zimmer« längst gewöhnt. Es gab Impressionisten, Symbolisten und wie sie alle heißen, diese Revoluzzer gegen die wahre Kunst. Die verkaufen sich nun ja sogar! Auch Pablo hält sich mit seinen Bildern gerade so über Wasser. Je blautoniger die Werke aber werden, desto unzufriedener sind seine Galeristen. Nicht nur der trübe Schleier von Tristesse vergrätzt die Käufer. Es sind auch die Motive. Ist es der Anblick des Elends von Barcelona, wo Pablo nun wieder lebt, das ihn zu den ausgemergelten Gestalten inspiriert? Seine eigene Armut und Schwermut und Einsamkeit? Oder ist es nur eine Masche, um auf sich aufmerksam zu machen, wie seine Dandy-Anzüge, die er dem Schneider mit Porträts von dessen Familie abstottert? Jedenfalls will niemand Geld für Bilder mit blaugefrorenen, überlangen, meist alten, oft blinden Hungerleidern ausgeben. Heute gehören sie zu den teuersten »Picassos« überhaupt. Als Pablo im Winter 1902/03 für ein bisschen Wärme Packen von Zeichnungen im Ofen verfeuert, hat er, ohne es zu ahnen, die luxuriöseste Heizung der Welt.
La belle Fernande
Im April 1904 zieht Pablo endgültig nach Paris. Er bleibt am Montmartre und mietet ein Atelier im Bateau-Lavoir. »Waschboot« heißt die in den Hang gebaute verschachtelte Holzbaracke wegen der stets gehissten Wäscheleinen. Bewohnt ist sie nicht von Wäscherinnen vom Seineufer, sondern von Künstlern. Schon van Gogh hatte hier sein kärgliches Dasein gefristet. Nun ist Picasso dran, sich das eine Klo und den einzigen Wasserhahn der hellhörigen, zugigen, feuchten Bretterbude mit vielen anderen zu teilen. Vier Stockwerke voll Leidensgefährten! Voller Armut! Voller Leben!
Und voller Liebe. Klappe zu, Kamera läuft: August 1904. Die drückende Hitze treibt Pablo aus dem Atelier. Nun kehrt er nach dem Gewitter zurück, auf dem Arm ein Kätzchen, das er vor dem Platzregen gerettet hat. Vor der Haustür findet er ein weiteres Kätzchen: eine völlig durchnässte, reizende junge Frau mit roten Haaren. Entzückt wirft er ihr die kleine Katze zu, reflexartig fängt sie das Tier, beide müssen lachen. Liebe auf den ersten Blick?
Sie heißt Fernande Olivier und ist wie er 23 Jahre alt. Nicht vom Glück verwöhnt, wuchs sie bei strengen Adoptiveltern auf und ist aus einer traurigen Ehe geflohen. Nun macht sie dies und das. Ihre Welt ist der Montmartre und die Künstlerfreunde, die sie verehren und als Modell beschäftigen.
Pablo ist Feuer und Flamme. In einem Atelierwinkel baut er einen »Altar«, ausstaffiert mit ihrem Bild und der Bluse, die sie an jenem Augusttag trug, flankiert von künstlichen Blumen. Er betet sie an! Im Sommer 1905 zieht Fernande zu ihm. Es hat gedauert, bis sie dem »Magnetismus« seines Blicks erliegt! Als Pariserin spricht sie ein kultiviertes Französisch und liebt Hüte, Parfums und kitschige Romane. Dass Pablo ihr außer Liebe nichts bieten kann, nimmt sie gelassen: »Alles, was ich brauchte, war eine Tasse Tee, Bücher, ein Sofa und möglichst wenig Hausarbeit. Ich muss zugeben, dass ich wirklich extrem faul war. «
So wird Pablos Atelier zwar nicht ordentlicher, aber zum schönsten Liebesnest. Je größer die Hingabe, desto eifersüchtiger Pablo. Modellstehen bei diesem van Dongen? Kann sie vergessen! Am liebsten würde er sie einsperren und ganz für sich haben. Gut, dass Kätzchen Fernande so fügsam wie genügsam ist! Ist Pablo jetzt glücklich?
Bild 4
La belle Fernande – ein Engel! Ein wahrer Lichtblick für Picasso, dem hier aber eher trübe Gedanken durch den Kopf gehen.
Ein Aquarell vom Herbst 1904 zeigt ihn am Bett der schlafenden Geliebten, in dumpfes Brüten versunken. Während an ihm alles Ecken und Kanten hat, verschmilzt Fernande, hingestrichelt mit zarten Linien, mit dem Polster. Hell steht neben dunkel, leicht neben schwer, sorgloser Schlaf neben grämlichem Grübeln. Wie er da hockt, die Miene düster, den Arm schlaff auf den Tisch gestützt, kann Pablo mit den Elendsgestalten der »Blauen Periode« durchaus mithalten. Fernande hingegen – ein Lichtblick! Diese Frau erobert zu haben, die ihm, ohne viel zu fordern, sinnliche Freuden schenkt, stärkt sein männliches Selbstgefühl. Aber das ist ja nicht alles.
Lebenskünstler
Etwas mehr Erfolg mit seinen Bildern – das Wort »Kunstwerk« hasst er wie die Pest – wäre
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