Pablo Picasso - die Lebensgeschichte
Und Toulouse-Lautrec, den er schon lange verehrt! Die Motive liegen auf der Straße: Cafés und volkstümliche Ballhäuser wie das »Moulin de la Galette«.
Weihnachten schaut er bei den Eltern vorbei. Vor allem aber bringt er Carlos heim, dem Paris gar nicht gut bekommen ist. Er hat sich in diese Germaine verguckt und ertränkt den Liebeskummer in Alkohol. Dazu faselt er ständig von Selbstmord. Über Málaga, wo Pablo Onkel Salvador mit seinem inzwischen verschlissenen Cordsamtanzug und einer Halskette schockt, fährt er nach Madrid. Die Gelegenheit, bei einer neuen Zeitschrift mitzuarbeiten, hält ihn hier fest. Doch die »Junge Kunst«, die keiner will, finanziert sich nur über den Vertrieb eines wunderheilenden elektrischen Gürtels, den auch keiner will. »Mach nur so weiter, dann wirst du was erleben«, droht Onkel Salvador.
Wie um ihn zu bestätigen, erreicht Pablo im Februar die Nachricht von Carlos’ Tod. Er hat sich vor aller Augen und im Beisein Germaines erschossen. Pablo ist bestürzt. Als er wieder auf den Montmartre kommt, trifft ihn der Verlust erst richtig. Seltsamerweise zieht er in Carlos’Atelier und lässt sich auf eine Affäre mit Germaine ein. Will er sich das, was vom Freund geblieben ist, gleichsam einverleiben? Fühlt er sich, weil er sich nicht mehr um Carlos gekümmert hat, schuldig – wie damals am Tod seiner Schwester? Dass Pablo verstört ist, zeigen seine Bilder. Nicht nur, dass er Carlos auf dem Totenbett malt. Auch die anderen Werke sind nun in ein melancholisches blaues Licht getaucht. Die »Blaue Periode« hat begonnen.
Das blaue Zimmer
»Dieser junge spanische Maler, der seit kurzem bei uns weilt, liebt das moderne Leben… Wir haben einen neuen Komponisten leuchtender Farben vor uns, der mit strahlenden Rot-, Gelb-, Grün- und Blautönen arbeitet. « Pablo stellt 1901 in der bekannten Galerie Vollard Werke seines ersten Paris-Aufenthalts und der Zeit vor Carlos’ Tod aus. Diese Bilder sind noch voller Leben und geprägt von Einflüssen anderer Künstler wie Delacroix, Manet, Monet, van Gogh, Toulouse-Lautrec und Degas. Die Kritik ist hin- und hergerissen von diesem »echten Maler«, der »die Farbe liebt«, und seinem »Ungestüm«. Letzteres könnte ihn – Achtung: erhobener Zeigefinger! – »zu oberflächlicher Effekthascherei und leicht verdientem Erfolg verleiten«. Vielleicht wäre es besser, nicht gleich drei Bilder an einem Tag zu malen?
Bild 3
Picasso macht Schluss mit der akademischen Malerei! Das »Porträt« seines mit Trödel möblierten Ateliers zeigt, dass ihm der neue Stil noch keine Reichtümer einbringt.
Noch kann von »leicht verdientem Erfolg« keine Rede sein. Noch 1905 ist ein Bild wie »Das blaue Zimmer« beim Trödler für zehn Francs zu haben. 1901 gemalt, zeigt es Pablos Atelier. Nur der Kenner sieht die »Einflüsse von«, jedes Kind aber kann sehen, wie weit sich Pablo von » Wissenschaft und Nächstenliebe« entfernt hat. Nun gibt es keine sauber konstruierten Zimmerecken mehr und damit auch keinen Raum. Alles ist wie ein flaches Muster ausgebreitet, ohne Rücksicht auf nah und fern, Licht und Schatten. Wie musste dieses hingerotzte Bett ein akademisch geschultes Auge verletzen! Statt scharfer Umrisse und gekonntem Faltenwurf ein locker hingepinselter, mit der Wand verschmelzender wolkiger Polsterhaufen, ein höchst zerwühlter noch dazu! Wer da eben noch lag, ist ja wohl klar und ebenfalls skandalös. Da steht diese Frau in einem alle Gesetze der Perspektive verhöhnenden Waschzuber – unbekleidet! Nackt wie eine
Göttin, doch alles andere als eine solche. Dafür fehlt ihr nun wirklich die Schönheit – siehe ihre X-Beine und die bucklige Schulter. Eine Missgeburt vom Scheitel bis zur Sohle. Diese Füße! Die bläuliche Haut! Und was ist das für ein Bildthema? Gibt’s hier überhaupt ein Thema? Eine Bedeutung? Eine Moral? Nichts davon. Eine gewöhnliche Frau ohne Gesicht, nach zweifelhafter Bettruhe (mit dem Maler gar?!), bei banaler Körperpflege in einem schlecht ausgeleuchteten »Raum« mit unbeholfen gemaltem Teppich und einem Fenster, durch das nichts zu sehen ist.
Aber, mag ein anderer Betrachter einwerfen, hat das Ganze nicht Atmosphäre? Hat es in seiner eingefangenen Alltäglichkeit nicht Frische und Wahrheit? Und zwar mehr als die bedeutungsschwangere Zusammenkunft eines Arztes und einer Nonne in » Wissenschaft und Nächstenliebe«? Diesem schaurig-schönen Bild einer im ärmlichen, aber sauberen Krankenbett in edler
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