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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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über ihnen raschelten im Frühlingswind. Ansonsten herrschte völlige Stille.
    »Ich weiß, was ich mache«, stieß Pala unvermittelt hervor. »Ich laufe schnell zum Dottore. Er wird dir helfen.«
    Der alte Mann war zusammengezuckt, weil sich das Gesicht des Mädchens mit einem Mal ganz dicht vor dem seinen befunden hatte. Sie sprach auffällig laut und außerdem sehr betont. Doch alle Mühe, sich ihm verständlich zu machen, war zwecklos. Nicht die kleinste Silbe konnte er von ihren Lippen ablesen. Nonno Gaspares Augen sahen sie nur traurig an. Es schien, als blicke Pala durch sie hindurch in die unendliche Weite des Himmels.
    Ein ganzes im Hals steckendes Huhn hätte sie nicht so erschrecken können wie die rätselhafte Unzugänglichkeit ihres alten Freundes. Sie atmete immer schneller und begann heftig zu zittern. Nicht mehr lang und sie würde den Verstand verlieren. Um sich zu beruhigen, rief sie sich eine alte Lebensweisheit in den Sinn.
    Einmal, zweimal, ohne Unterlass ließ sie ihre Gedanken um dieselben Worte kreisen: Allein die Furcht lässt manche Absicht scheitern…

 
     
     
     
Allein die Furcht lässt manche Absicht scheitern,
macht stumm, wo klare Worte sind vonnöten.
Anstatt die Angst mit Vehemenz zu töten,
bringt man nur Tod den fremden Außenseitern.
 
Sieht er sich selbst fernab  von  den Begleitern,
mag der Bornierte heftig gar erröten,
erweist sich blind, wo Einsichten sich böten,
verdammt, die Vorurteile zu erweitern.
 
Dies Unverständnis lässt sich schwerlich fangen,
weil immer wieder es entrinnt auf Gleitern,
auf Eisgrund kalt von Hochmut, Hass und Bangen.
 
Derlei Gefühle helfen Zwangsarbeitern,
sich stumm zu fügen glühend heißen Zangen.
Des Schweigens Kerker steht so voller Leitern!

 
    Allein die Furcht lässt manche Absicht scheitern. Pala wiederholte die Schlusszeile aus ihrem Geburtsgedicht unzählige Male. Allmählich gelang es ihr, die wild ausschlagenden Gedanken in ihrem Kopf mit der Kandare des strengen Versmaßes zu bändigen. Das Sonett verdrängte vorerst ihre Befürchtungen. Äußerlich war von dieser Besänftigung eher wenig zu bemerken.
    Pala rannte wie von einem Schwarm Hornissen gejagt durch die Stadt. Das verfallene Kloster würdigte sie keines Blickes. Auf der Piazza verbogen die alten Männer ihre Hälse und schüttelten die Köpfe, als das Mädchen an ihnen vorüberflog. Die Pinien wippten mit den Ästen, als wüssten sie besser Bescheid. Silencia war, wie bereits angeklungen, keine große Stadt. Alles lag »gleich um die Ecke« und Dottore Stefano machte da keine Ausnahme.
    »Pala! Du?«, begrüßte der Arzt ebenjene, als ihr Gesicht im offenen Fenster des Behandlungszimmers zwischen den Geranien erschien. Sie war außen an der von Vorsprüngen und Ritzen übersäten Feldsteinmauer bis in den ersten Stock geklettert, weil ihr Schwester Marianna Filippina den Zugang zum Sprechzimmer verstellt hatte.
    Der Doktor kniete gerade mit einem Bein auf dem Rücken von Studienrat Galvano, als wolle er ihm die Wirbelsäule brechen. Der Studienrat blickte verwundert zum Fenster. Wenn nicht gerade Dottore Stefano auf seinem Rücken hockte, verschaffte der sonst eher steife Oberlehrer Pala und ihren Klassenkameraden Einblicke in die Geschichte von Stadt und Land. Der schmächtige Mann mit dem schütteren grauen Haar und dem krausen Backenbart sah so alt aus, als hätte er die von ihm geschilderten Ereignisse samt und sonders persönlich miterlebt. Mit freiem Oberkörper hatte er sich seinen Schülern allerdings noch nie gezeigt.
    Es gab ein fürchterliches Krachen. Studienrat Galvano schrie. Pala war überzeugt, er würde den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen.
    Zufrieden lächelnd kletterte der etwas beleibte Arzt von seinem Patienten herunter. Wundersamerweise schwang Letzterer darauf die Beine über die Behandlungsliege und griff hastig nach einem feingerippten Unterhemd, um sich zu bedecken.
    »Guten Tag, Herr Galvano«, sagte Pala höflich, wenn auch eher beiläufig, weil sie ja des Arztes wegen gekommen war. Sich an diesen wendend, rief sie aufgeregt: »Ein Notfall, Dottore Stefano! Sie müssen unbedingt mitkommen!«
    »Immer langsam mit den jungen Pferden«, entgegnete der Medikus seelenruhig. »Hat Nina mal wieder etwas verschluckt? Einen Korken – das wäre nicht so schlimm –, Geld – wenn’s Münzen sind, kommen sie spätestens übermorgen wieder heraus – oder etwa den Hausschlüssel? Da müsste ich allerdings…«
    »Nina geht’s gut«,

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