Palazzo der Liebe
kümmern.
Doch jetzt lag die Arbeit hinter ihr, morgen früh sollte die Ausstellung eröffnet werden. Zufrieden mit ihrer eigenen Leistung, akzeptierte Sophia deshalb Davids Angebot, früher Feierabend zu machen. Gegen sechs verließ sie die Galerie und machte auf dem Heimweg bei einem Supermarkt halt. Wie jeden Freitag herrschte in dem Laden viel Betrieb.
Als es ihr endlich gelungen war, sich zwischen den anderen Käufern samt den sperrigen Einkaufswagen hindurchzuzwängen, hatte sie sich eine Laufmasche zugezogen, und das Haar fiel ihr in wirren Locken auf die Schultern.
Zu allem Überfluss regnete es inzwischen auch noch. Mit einem frustrierten Seufzer schlug Sophia den Mantelkragen hoch. Während sie sich auf den Weg machte, überlegte sie, dass es viel besser gewesen wäre, die Lebensmittel auf zwei Tragetaschen zu verteilen, da noch ein ziemliches Stück Weg vor ihr lag und der dünne Griff ihr jetzt schon in die zarte Haut schnitt.
Zum x-sten Mal wechselte sie die schwere Tüte von einer Hand in die andere. Doch diesmal entglitt das schlüpfrige Plastik ihren klammen Fingern, die Tüte fiel zu Boden, und ihr Inhalt rollte einem hochgewachsenen blonden Mann, der wenige Schritte hinter ihr ging, vor die Füße.
Während der Strom der anderen Passanten sich teilte und rechts und links an Sophia vorbeifloss, blieb der gut angezogene Fremde stehen und sammelte mit bemerkenswertem Geschick die verstreuten Lebensmittel wieder ein.
Wie betäubt starrte Sophia auf seinen gesenkten Kopf mit dem dichten blonden Haar, auf dem die Regentropfen wie Diamanten glitzerten, während er alles wieder in die Tüte zurückpackte und sich dann aufrichtete.
„Zum Glück waren keine Eier dabei“, stellte er lächelnd fest. Seine Stimme klang tief und warm und hatte einen Akzent, den sie nicht gleich einordnen konnte. Er hielt die Tüte mit einer Hand an den Henkeln, mit der anderen stützte er vorsichtshalber den Boden. Als Sophia in sein markantes Gesicht sah, erstarrte sie.
Und während ihr Gehirn signalisierte, dass es unmöglich er sein konnte, sagte ihr wild klopfendes Herz etwas ganz anderes. Konnte es möglich sein?
Obwohl es ihr in der Dämmerung schwerfiel, seine Augenfarbe zu erkennen, waren ihr die strengen klaren Züge, der asketisch geschnittene Mund und das feste Kinn mit der kleinen Kerbe so vertraut wie ihr eigenes Gesicht.
Völlig unverhofft überkam Sophia Freude und ein seltsames Gefühl der Genugtuung, als erfülle sich in diesem Moment etwas, auf das sie schon ihr Leben lang wartete. Das ihr vorbestimmt war.
„Himmel! Ich fürchte, die ganze Tüte löst sich langsam auf“, stellte der Fremde besorgt fest, während Sophia ihn immer noch wortlos und fasziniert anstarrte. „Müssen Sie noch weit gehen?“
Irritiert blinzelte sie und schüttelte automatisch den Kopf. „N…nein, nur ein Stückchen die Roleston Road entlang.“
„Dann gehen Sie am besten vor.“
„Danke für Ihre Hilfe“, murmelte Sophia verlegen. „Aber ich möchte Sie nicht länger aufhalten.“ Noch beim Sprechen spürte sie den Schmerz, der ihr bevorstand. Wenn er ihr jetzt die Tüte aushändigte und seiner Wege ginge, würde sie ihn nie wiedersehen.
Doch zu ihrer Erleichterung lag das gar nicht in seiner Absicht.
„Wie es der Zufall will, muss ich genau in die gleiche Richtung“, verkündete er lächelnd.
Die aufregende Aussicht, seine Gesellschaft noch ein wenig länger genießen zu können – obwohl er ja nicht wirklich er sein konnte, wie sie genau wusste – ließ Sophia für einen Moment die Traurigkeit vergessen, die sie seit Wochen stetig begleitete.
„Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht …?“, brachte sie etwas atemlos hervor.
„Absolut nicht.“
Da erwiderte sie sein Lächeln und versuchte, ihre Aufregung zu verbergen, die so ganz untypisch für sie war.
„Sie wohnen also in der Roleston Road?“, fragte der Fremde, der er trotz ihrer Verzauberung und des seltsam vertrauten Gefühls nun einmal war. Während sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten, riskierte Sophia einen schnellen Seitenblick. Die Ähnlichkeit verblüffte sie zutiefst.
„Nein, gleich dahinter, auf dem Roleston Square. Ich habe eine Wohnung in einem der alten georgianischen Häuser mit Blick über die Square Gardens.“
„Leben Sie allein?“
„Erst seit Kurzem.“
„Sie erscheinen mir viel zu jung, um allein zu leben.“
Sophia lachte leise. „So jung bin ich gar nicht.“
Er schaute in ihr herzförmiges Gesicht mit der
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