Alles auf Anfang! (German Edition)
Regen, Regen, Regen. Seit Tagen nichts als
Regen. Der Wind schob dicke, schwarze Wolken über das Land und keine Aussicht
auf Besserung. Lisa schaute missmutig aus dem Küchenfenster. Ihre Laune wurde
beim Anblick des Regen verhangenen, grauen Himmels nicht besser. Die
Kastanienbäume bogen sich im Wind. Die weißen Blüten bedeckten den Asphalt wie
dicke Schneeflocken im Winter. Rinnsale verschmolzen zu kleineren Strömen, die
unentwegt entlang der Bordsteinkanten den Abflüssen entgegenblubberten und beim
Abfließen in die Kanalisation Schaumkronen bildeten. Der seit Tagen
angekündigte Frühling klebte in den Alpen und schaffte es nicht über den
Brenner.
Lisa stand mit nassen Haaren, barfuss und
nur mit einen Bademantel bekleidet vor ihrer Kaffeemaschine. Nervös füllte zum
zweiten Mal an diesem Morgen den Filter ihrer Kaffeemaschine mit Kaffeepulver.
Heute war eindeutig der Wurm drin. Der Kaffee lief prompt am Filter vorbei, der
Wecker hatte seinen Geist aufgegeben und sie war viel zu spät wach geworden.
Verschlafen drückte sie sich Haar-Gel statt Zahnpasta auf ihre Zahnbürste. Der
Seifenspender gähnte ihr leer entgegen und der Kaffee, den sie so dringend
benötigte, lief an der Filtertüte vorbei! Ein „Filtertütentag“ eben!
Schon am Morgen fühlte sie sich gereizt und
nervös. Sie öffnete die Kühlschranktür, um sich eine Tüte Milch herauszunehmen.
Mit einem riesigen Platschen flog ihr das fast volle Tetrapack entgegen und
knallte mit Schwung auf den schwarzen Granitboden.
"Verdammt noch mal, das darf doch
alles nicht wahr sein! Am besten gehe ich gleich wieder ins Bett und vergrabe
mich für heute!"
Lisa trat wütend auf.
Kein schlechter Gedanke! Sich einen Tag zu
stehlen, schlafen, mit einem guten Buch und einer großen Kanne heißen Tee in
den Kissen versinken.
Schnell schob Lisa diesen verlockenden
Gedanken ganz weit von sich. Die Welt dort draußen konnte heute mit Sicherheit
nicht auf sie verzichten. Obwohl Sie jeden einzelnen Knochen vom Umzug
spürte, durfte sie dieser Verlockung auf gar keinen Fall nachgeben. Der Preis
war in Ordnung für ein neues Leben in Unabhängigkeit.
Sie freute sich auf die neue
Herausforderung und ihren ersten Tag im neuen Job! Was konnte ihr also das
bisschen Muskelkater anhaben.
Allzu lange hatte sie mit dem Gefühl
gelebt, ständig etwas zu verpassen. Eines Morgens war sie aufgewacht und spürte
ganz tief in ihr diese starke Sehnsucht nach Veränderung. Keinen Tag länger
wollte sie so weiterleben wie bisher. In der Gewissheit, dass ihre Zukunft
bereits gelebt war, weil sie bereits bis ins Detail durchgeplant war - von
Menschen die ihr zwar nah standen, aber keine Ahnung von ihren Sehnsüchten und
Träumen hatten. In allerletzter Minute zog sie die Notbremse. Genau eine Woche
vor ihrer Hochzeit mit Ludger verließ sie Hals über Kopf die Provinz. Im
Schrank blieb ein maßgeschneidertes Hochzeitskleid zurück und ein aus allen
Wolken gefallener Ludger.
Doch mit jedem Kilometer, den sie sich von
ihrer Heimat entfernte, wurde ihr Herz leichter und fröhlicher. Nach langer
Zeit spürte sie wieder so etwas wie Lebenslust und Energie in sich!
Heute bekam Lisa allerdings Angst vor ihrer
eigenen Courage. Kein Wunder, da gerade an diesem ersten Tag ihres neuen Lebens
alles schief ging. Das war Lampenfieber in seiner ganz klassischen Form!
Der Blick auf die Uhr riss Lisa aus ihren
Gedanken.
"Oh Gott, schon so spät!"
Sie wollte an ihrem ersten Tag in der Bank
auf keinen Fall zu spät kommen. Lisa zwängte sich widerwillig in ihr schwarzes,
eng geschnittenes, Figur betonendes Designerkleid sowie in ihre hochhackigen
Pumps. Relikte aus vergangenen Tagen. Zum neu Einkleiden war sie seit dem
spontanen Umzug noch nicht gekommen. Sobald ihr erstes Gehalt auf dem Konto
war, würde sie sich eine ausgiebige Shoppingtour gönnen und ihrem Outfit eine
Frühjahrskur verpassen.
Eilig raffte sie im Vorbeigehen ihren
Kaschmirmantel von der Garderobe. Ein letzter eiliger Blick in den barocken
Spiegel im Flur. Lisa war zufrieden, mehr war in der Hektik nicht drin! Als sie
gerade dabei war, die Haustür abzuschließen, klingelte das Telefon. Abheben
oder nicht? Vielleicht war es ihre Schwester Mona, die ihr einen guten Start
wünschen wollte. Lisas schlechtes Gewissen siegte. Sie hatte sich nach ihrem
Umzug noch nicht bei Mona gemeldet.
"Seiler?"
"Kindchen! Seit Tagen versuche ich
dich anzurufen. Immer nur diese Kiste dran. Hast du alle
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