Palazzo der Lüste
Antonio ihr einen Stuhl zurechtrückte.
»Wir wollen doch nicht so förmlich sein. Nennt euch Cecilia und Stefano.« Antonios Stimme durchbrach den Zauber zwischen ihnen.
Ein Ober brachte die Speisenkarten, und eine Weile waren sie nur damit beschäftigt, das Essen und den Wein auszuwählen. Cecilia entschied sich für Schinken auf Melone, als zweiten Gang Tagliatelle mit Muscheln, danach Entenbrust und zum Schluss ein Tiramisu. An die damit einhergehenden Kalorien dachte sie nur einen kurzen Augenblick. Sie war schlank und sportlich, und es wäre eine Sünde gewesen, angesichts all der Köstlichkeiten auf der Speisekarte nur einen Salat aus Rücksicht auf die Figur zu essen. Morgen konnte sie sich von Salat ernähren und alles wiedergutmachen.
»Eine kluge Wahl. Ich nehme dasselbe«, entschied Stefano. »Dein Bruder sagte mir, du warst auf der Polizeischule.«
»Ganz recht. Ich habe zunächst Kunstgeschichte studiert und mich dann bei der Polizei beworben, nachdem ich als Kunsthistorikerin keine Arbeit fand. Sie haben mich angenommen, und in drei Monaten werde ich meine erste Stelle als Kriminalassistentin in Livorno antreten.«
»Meine Schwester hat vielseitige Talente.«
Wenn Antonio es doch lassen würde, sie anzupreisen wie eine Kuh auf dem Markt. Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.
»Er erzählte mir auch von dir«, flötete sie zu Stefano gewandt.
»Oh je, und du bist trotzdem gekommen. Mutige Cecilia, mit Leib und Seele Polizistin.«
Sie lachte.
»Das wird sich erst noch herausstellen. Aber du bist Künstler und arbeitest in Stein. Über deine Skulpturen hast du meinen Bruder kennengelernt«, wiederholte sie das Wenige, was sie über ihn wusste.
»Ich male auch. Die Kunst ist eine meiner Leidenschaften.«
»Was hast du noch für Leidenschaften?«
Seine Antwort blieb zunächst aus, denn die Vorspeisen wurden serviert. Der Schinken ringelte sich verführerisch um Melonenbällchen. Cecilia merkte, wie hungrig sie war.
»Was ist nun mit deinen Leidenschaften?«, fragte sie, während sie ihre Gabel füllte.
»Pferde.«
»Du reitest?«
»Auch. Ich bin der Verwalter des Gestüts Tres Orizzontes.«
Drei Horizonte – was für ein poetischer Name. Und wenn man dann noch d´Inzeo hieß konnte man gar nichts anderes sein als der Verwalter eines Gestüts. Sie sagte etwas in der Art zu Stefano. Das ließ ihn auflachen.
»Mein älterer Bruder ist Investmentbanker, verheiratet, hat vier Kinder und hat Pferde bisher nur von Weitem gesehen.«
Cecilia ritt als Kind und hatte auch ein eigenes Pony, nachdem sie ihre Eltern so lange mit ihrem Wunsch gequält hatte, bis diese gar nicht mehr anders konnten, als ihr das Reiten zu erlauben. Wenn sie jetzt ein Pferd sah, musste sie ihm die Hand hinstrecken und sein weiches Maul berühren.
»Die Kinder deines Bruders hätten sicher auch lieber einen Gestütsverwalter als Vater?«
»Sie hätten am liebsten Signore Agnelli von Fiat zum Vater, so viel Geld wie sie für ihre Wünsche brauchen. Pferde gehören nicht dazu .«
»Bei mir war es genau andersherum: Pferde gingen mir über alles.«
Beim Essen redeten sie über Pferde. Stefano hatte seine ganze Kindheit und Jugend mit ihnen verbracht, aber nicht in Tres Orizzontes, sondern in Umbrien. Wenn er sich nicht in den Ställen oder der Reitbahn herumtieb, hatte er sie gezeichnet, aus Ton geformt, aus Holz geschnitzt, in Blei gegossen. So hatte sich seine Leidenschaft für Kunst entwickelt.
Sie waren beim Kaffee angekommen, als Stefano von einer Scheune erzählte, in der er arbeitete und seine Werke ausstellte.
»Ich habe inzwischen nicht mehr nur Pferde als Motive – eigentlich überhaupt nicht mehr.« Er stützte das Kinn in die Rechte. Eine schlanke Künstlerhand.
»Was denn dann?«
»Rothaarige, neugierige Frauen.«
Es war, als wäre Antonio nicht da. Ohne dass Cecilia es merkte, schob sich ihre Hand über den Tisch auf seine zu.
»Du malst sie?« Beinahe atemlos sagte sie das.
»Lasziv auf einer Bank liegend. Die Scheune ist nicht weit von hier. Wir können hinfahren, und du kannst es dir ansehen.«
Ihr Herz machte einen Sprung. Der tollste Mann, den sie seit langem kennengelernt hatte, lud sie ein. Ohne Zögern sagte sie zu und konnte gar nicht schnell genug ihren heißen Kaffee hinunterstürzen. Ihm schien es ähnlich zu ergehen, er winkte einen Kellner, zahlte und gab ein großzügiges
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