Paloma - Ein Liebesroman (German Edition)
dass während ihrer Abwesenheit etwas auf dem Hof geschehen sein musste, etwas Großes, etwas Schreckliches.
Die Mutter war gestorben an diesem Nachmittag. Das erfuhr Paloma jedoch erst, als sie die Mutter auf ihrem Bett liegen sah. Der Vater hatte auch dann noch geschwiegen, als sie neben ihm her auf das Haus zugegangen war. Kurze, unsichere Schritte hatte er gemacht und auch nicht mit den Armen geschlenkert wie sonst.
Wie sie später erfuhr, hatte die Mutter wohl eben die Ziege gefüttert, die mit ihren zwei Tage alten Zicklein im Stall stand, als es passiert war. Denn dort hatte der Vater sie gefunden. Ihre Mutter, die niemals über irgendwelche Schmerzen geklagt hatte. Mit angehaltenem Atem hörte Paloma zu, als der Vater mit dem Médico redete, während sie neben dem Bett standen, auf dem die Mutter lag. Paloma wagte sich nicht weiter als bis zur Tür und blickte von dort auf die alten Stoffschuhe an den Füßen der Mutter und auf ihre vom vielen Waschen grau gewordene Schürze.
Erst danach wagte sie es, in das Gesicht der Mutter zu blicken, wie es die beiden Männer taten. Schweigend und mit unbewegter Miene, aber als der Vater sie hinaus schickte, um Loca an die Kette zu legen, die kläffend am Bett der Mutter hochsprang, spürte sie Schmerzen im Hals und er war plötzlich so eng, als ob etwas stecken geblieben sei, etwas, das sich trotz aller Anstrengung nicht runter schlucken ließ.
Als sie zurückkehrte, sah sie, dass der Vater feuchte Augen hatte, ihre eigenen blieben jedoch trocken. Auch danach, als sie mit ihrer toten Mutter allein im Haus war. Der Médico hatte seine Arbeit beendet und der Vater hatte sich mit Maultier und Karren noch einmal auf den Weg gemacht, um die Verwandtschaft vom Tod der Mutter zu verständigen.
Und selbst als die dicke Esperanza, ihre Großtante, mit vom Weinen verquollenen Augen eintraf, blieben Palomas Augen trocken. Sie saß auf einem Stuhl in einer Ecke der Sala und beobachtete, wie immer mehr Leute ankamen, saß dort und sah sich den Betrieb in ihrem sonst so stillen Haus an. Und fragte sich, ob ihrer Mutter das wohl gefallen hätte. Aber die Mutter lag drüben auf ihrem Bett und obwohl alle nur ihretwegen gekommen waren, schien es sie nichts mehr anzugehen, was hier geschah. Irgendwann wurden Paloma von all dem Zigarettenrauch der Männer und dem Stimmengemurmel und Kommen und Gehen der vielen Leute die Augen schwer und sie nickte in ihrer Ecke ein.
Am späten Vormittag des folgenden Tages lag die Mutter, so wie es bei ihnen üblich war, bereits unter der Erde. Und da sich einige der Frauen darum kümmerten, dass alle Trauergäste ausreichend zu essen und zu trinken bekamen, ging Paloma wie gewohnt ihrer Arbeit nach.
Sie fütterte die beiden Schweine mit dem Essen vom Vortag, das niemand angerührt hatte und während sie die Wassernäpfe füllte, fiel ihr plötzlich Mariano, ihr Bruder, ein. Mariano, der wie so viele der jungen Männer hier auf der Insel nach seinem Militärdienst auf einem Schiff angeheuert hatte, weil die Aussicht, auf Magali Arbeit zu finden, so gut wie aussichtslos war. Paloma musste daran denken, dass die Mutter diesmal nicht auf der Veranda stehen würde, um Mariano zu begrüßen, wenn er das nächste Mal nach Hause kam. Dass sie nie mehr dort stehen würde, und plötzlich war in ihrer Brust ein brennender Schmerz und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Sich mit dem Ärmel über das Gesicht fahrend, ging sie über den Hof und sammelte die Eier ein, aus den Körben, die in den Olivenbäumen aufgehängt waren. Blind vor Tränen griff sie hinein.
An einem der Tage danach, es war bereits später Nachmittag, der Vater war draußen beim Fischen, schlug Loca plötzlich scharf an. Scharf und wütend.
Paloma trat auf die Veranda, um zu sehen, was mit dem Hund los war, als sie eine Männerstimme rufen hörte.
„Ruhig, Loca! Hierher! Komm her!“
Vicente, einer der Brüder ihres Vaters, kam auf das Haus zu und neben ihm ging mit langen, weit greifenden Schritten ein weiterer Mann. Etliche Köpfe größer und kräftiger.
Paloma erkannte ihn auf Anhieb wieder: der Barbudo. Der Fremde, der ihr die seltsame Kette mit dem Feldstein geschenkt hatte.
„Wo ist mein Bruder?“ , rief der Onkel.
„Noch draußen. Mit dem Boot“, antwortete Paloma.
„Wie?“
Der Onkel hörte schon ziemlich schlecht, Paloma musste ihre Antwort wiederholen. Sie wusste nicht, ob der Fremde sie wieder erkannt hatte, er sagte nichts, nickte nur grüßend.
Der Onkel
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